Art:
- Großstadtnetzwerk
Psychosoziale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen langfristig im Blick behalten
Die Coronapandemie hat massive Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche, die sich insbesondere auch im Bildungsbereich auf kommunaler Ebene widerspiegeln. Neben Fragen der Schulorganisation unter Pandemiebedingungen und Lernrückständen, stellen die psychosozialen Folgen für Kinder- und Jugendliche kommunale Bildungslandschaften und deren Bildungsverwaltungen vor erhebliche Herausforderungen. In den letzten zwei Jahren wurden eine Vielzahl von kommunalen Maßnahmen meist ad hoc und unter erheblichem Zeitdruck entwickelt, um an der Schnittstelle Schule – Jugend – Gesundheit kurzfristig auf gestiegene Unterstützungsbedarfe zu reagieren.
Zum Ende des Jahres 2022 zeigt sich, dass sich die Aufmerksamkeit der bildungspolitischen Debatte längst wieder anderen Themen und Herausforderungen widmet. Parallel laufen entsprechend die allermeisten Förderprogramme zum Auffangen von Coronafolgen auf Bundes- und Landesebene zum Jahresende aus. Aktuelle Studien wie die COPSY-Studie 2022 und der WIdO-Monitor 2022 zeigen jedoch, dass die Folgen der Pandemie – insbesondere im psychosozialen Bereich – auch langfristig erhebliche Auswirkungen auf vor allem sozialbenachteiligte Kinder- und Jugendliche haben werden.
Wie können großstädtische Verwaltungen angesichts dieser Ausgangslage die psychosozialen Pandemiefolgen bei Kindern und Jugendlichen weiter im Blick behalten? Welche der Maßnahmen haben sich kurz- und mittelfristig bewährt und bieten Potential für Verstetigung? Welche Ansätze und Instrumente bedarf es darüber hinaus? Wie sollte langfristige Zusammenarbeit an der Schnittstelle Schule – Jugend – Gesundheit gestaltet sein? Und welchen Beitrag kann das datenbasierte kommunale Bildungsmanagement leisten?
Diesen und anderen Fragen wurde sich im Rahmen des Großstadtnetzwerkes gewidmet.
Im Folgenden finden Sie die Dokumentationen der Veranstaltung.
Blick in Wissenschaft
Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die psychische Gesundheit von Kindern
Impuls von Klaus Zok, Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO)
Zu Beginn des Großstadtnetzwerkes stellte Klaus Zok, Mitarbeiter am wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) die Studie „Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die psychische Gesundheit von Kindern“ vor. Zwei Erkenntnisse sind dabei besonders hervorzuheben. Ein Blick in die wissenschaftlichen Daten zeigt: Die Corona-Pandemie und die damit verbundene soziale Isolation hat insbesondere für sozialbenachteiligte Kinder und Jugendliche negative Auswirkungen auf die psychosoziale Gesundheit. Die Daten legen außerdem den Schluss nahe, dass durch die bestehenden Versorgungsangebote ausgerechnet diejenigen Kinder und Jugendlichen unzureichend erreicht werden, die ein höheres Risiko für pandemiebedingte psychosoziale Belastungen haben. Diese gemeinsame Wissensgrundlage stellte das Fundament für die weitere Reflexion über die kommunale Situation und die im Verlauf des Großstadtnetzwerks vorgestellten Praxisbeispiele dar.
Kommunale Standortbestimmung
Politische Relevanz, Herausforderungen und Handlungsfelder bei der Umsetzung von kommunalen Maßnahmen im Bereich psychosoziale Pandemiefolgen bei Kindern und Jugendlichen
Nach der Vorstellung der wissenschaftlichen Daten und Erkenntnisse zum Problemfeld psychosoziale Pandemiefolgen für Kinder und Jugendliche wurde die Situation in den Kommunen betrachtet. Neben einer Bewertung der politischen Relevanz des Themas in den Kommunen sollten die Teilnehmer:innen die zentralen Herausforderungen bei der Umsetzung kommunaler Maßnahmen benennen. Darüber hinaus wurden Handlungsfelder identifiziert, die Kommunen als besonders wichtig betrachten, um die negativen psychosozialen Pandemiefolgen für Kinder und Jugendliche bestmöglich aufzufangen. In einer ersten Standortbestimmung wurde daher zunächst ein Bild vom aktuellen Entwicklungsstand der kommunalen Praxis hinsichtlich der psychosozialen Pandemiefolgen für Kinder und Jugendlichen gezeichnet.
Im Ergebnis der Befragung zeigt sich, dass die politische Relevanz des Themas in den teilnehmenden Kommunen – trotz abnehmenden Pandemiegeschehens und einer dadurch geringeren öffentlichen Berichterstattung – nach wie vor und auch perspektivisch als sehr hoch eingestuft wird. Die teilnehmenden Kommunen bewerten, die mittel- und langfristigen psychosozialen Pandemiefolgen für Kinder und Jugendliche als ein wichtiges Handlungsfeld auf kommunaler Ebene. Gleichzeitig wurde in den Diskussionen deutlich, dass die Teilnehmer:innen davon überzeugt sind, dass ihre Kommunen den Bereich der psychosozialen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen auch unabhängig von den Coronafolgen langfristig stärken müssen. Die Corona-Situation war hier wie in so vielen gesellschaftlichen Bereichen ein Brennglas, durch das die Schwachstellen im bestehenden System deutlich wurden.

Als zentrale Herausforderungen bei der Umsetzung kommunaler Maßnahmen im Bereich psychosoziale Pandemiefolgen für Kinder und Jugendliche benennen die Teilnehmer:innen insbesondere den Fachkräftemangel und fehlende finanzielle Mittel. Aber auch der Zugang zur Zielgruppe wurde als zentrale Herausforderung in der Implementierung von kommunalen Maßnahmen angeführt.

Als drängende Handlungsfelder beschreiben die Teilnehmer:innen vor allem den Fokus auf sozialbenachteiligte Kinder und Jugendliche, da diese besonders stark von psychosozialen Belastungen betroffen sind. Das deckt sich mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen. Auch die fachbereichsübergreifende Zusammenarbeit an der Schnittstelle Schule – Jugend – Gesundheit wird als ein Schlüssel identifiziert, um der Vielschichtigkeit und Komplexität des Problemfeldes gerecht zu werden und Kindern und Jugendlichen mit passgenauen Maßnahmen helfen zu können.

Blick in die Praxis I: Stuttgart
Studie „Corona und Bildung – Kinder & Jugendliche während Corona im Fokus behalten“
Impuls von Sarah Günster, Bildungsmonitoring in der Abteilung Stuttgarter Bildungspartnerschaft
Als Beispiel guter Praxis für einen umfassenden kommunalen Monitoringansatz wurde die Stuttgarter Studie „Corona und Bildung“ vorgestellt. Gemeinsam haben das Bildungsmonitoring und andere Kooperationspartner:innen innerhalb der Stadtverwaltung eine umfangreiche Erhebung von Daten bei Lehrkräften, Eltern und Schüler:innen durchgeführt, die ein breites Lagebild zu den Coronafolgen aufzeigt. Dabei wurden auf Basis einer umfassenden Studienkonzeption eine Vielzahl von qualitativen und quantitativen Erhebungsmethoden (z. B. Onlinebefragungen, Workshops, leitfadengestützte Interviews) genutzt, um insbesondere Informationen zu auftretenden Entwicklungsdefiziten aber auch Handlungsmöglichkeiten zu erheben. Einen besonderen Schwerpunkt nahm dabei auch die Perspektive der Kinder- und Jugendlichen auf ihre Situation ein.
Im Ergebnis zeigte sich, dass auch in Stuttgart vor allem die Gruppe der sozialbenachteiligten Kinder und Jugendlichen verstärkt von beobachtbaren Pandemiefolgen betroffen waren. Im Schulsetting wurden insbesondere pandemiebedingte Entwicklungsdefizite im Bereich der Motivation, Arbeits- und Lernbereitschaft sowie Konzentrationsfähigkeit beobachtet, während die Eltern zu Hause vor allem auch motorische Entwicklungsdefizite wahrnahmen. Als mögliche Ansatzpunkte für die Kommune wurden insbesondere Maßnahmen im Schulbereich identifiziert wie z. B. zusätzliche Fördermaßnahmen im Schulalltag sowie kleinere Lerngruppen.
Weitere Informationen
Stuttgarter Studie zu „Corona und Bildung“: Kinder und Jugendliche während Corona
Blick in die Praxis II: Frankfurt a. M.
“Frankfurtzaubert” – Ein Maßnahmenpaket des Stadtschulamtes Frankfurt am Main
Impuls von Sara Tecle, Koordinatorin von „Frankfurtzaubert“ & Lisa Rühmann, stellvertretende Amtsleiterin des Stadtschulamtes Frankfurt am Main
In Frankfurt a. M. wurde mit „Frankfurtzaubert“ für Schule und Kita ein Maßnahmenpaket durch das Stadtschulamt ins Leben gerufen, um die Coronafolgen bei Kindern, Jugendlichen und Fachkräften abzumildern. Die Umsetzung erfolgt mit zahlreichen Kooperationspartner:innen aus den Bereichen Bildung, Kultur, Sport und Verwaltung.
Zum einen werden umfangreiche Angebote für Kinder- und Jugendgruppen zur Verfügung gestellt, die von Träger:innen von Kitas, Grundschulen und weiterführenden Schulen der Sekundarstufe 1 in Anspruch genommen werden können. Dazu zählen z. B. "Selbstbehauptungs- und Resilienztraining", „Sicher im Netz“ und „Projekt Schulkids in Bewegung“. Zum anderen haben pädagogische Fachkräfte die Möglichkeit, Qualifizierungsmaßnahmen in unterschiedlichen Themenfeldern in Anspruch zu nehmen. Dazu gehören beispielsweise „Resilienz stärken“, „Beteiligung und Partizipation“ und „Bewegung und Gesundheit“.
Dem Stadtschulamt Frankfurt a. M. gelingt es, die vielfältigen existierenden Angebote zur Abmilderung der Coronafolgen für Kinder und Jugendliche über ein zentrales Internetportal transparent zu bündeln. Sowohl Einrichtungsträger:innen als auch Fachkräfte können Maßnahmen und Fortbildungen über das Portal unbürokratisch buchen und über den Fördertopf abrechnen. Dadurch ermöglicht „Frankfurtzaubert“ einen niedrigschwelligen Zugang zu vielfältigen Angeboten und schafft eine große Reichweite der kommunalen Maßnahmen.
Weitere Informationen
Blick in die Praxis III: Hamburg
Pilotprojekt “Drei Für Eins”
Impuls von Dörte Dzäbel (Projektleitung) & Dörte Behrendt (Projektmanagement) der Hamburger Behörde für Schule und Berufsbildung
Im dritten Beispiel guter Praxis stellten Dörte Dzäbel und Dörte Behrendt von der Hamburger Schulbehörde das Pilotprojekt „Drei Für Eins“ vor. Es zielt darauf ab, die Zusammenarbeit an der Schnittstelle Schule – Jugend – Gesundheit und die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen mit psychosozialen Problemlagen grundlegend zu verändern, auch über die aktuelle Coronapandemie und deren Folgen hinaus. Im Rahmen von „Drei Für Eins” arbeiten schulische Beratungszentren, Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrien eng zusammen, um Kindern und Jugendlichen mit Verhaltensauffälligkeiten und emotionalen Problemen niedrigschwellige Beratungs- und Therapieangebote vor Ort zu ermöglichen. Zentraler Leitgedanke des Projekts ist es, im Sinne der Prävention möglichst früh und niedrigschwellig Hilfen anzubieten, bevor sich psychosoziale Problemlagen so weit verstärken, dass diese nur noch schwer und mit erheblichem Aufwand (meist klinisch-stationär) behandelt werden können.
Zentrale, innovative Instrumente des Hamburger Projekts sind:
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ein umfassendes und frühzeitiges Screeningverfahren, um alle Kinder und Jugendlichen mit Hilfebedarfen zu identifizieren,
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die Schweigepflichtentbindung für alle Hilfesysteme von Beginn an, damit im Rahmen des Case-Managements die relevanten Daten und Informationen von allen relevanten Akteur:innen genutzt werden können,
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ein aufsuchendes und entsprechend niedrigschwelliges Hilfeangebot, welches gerade die Kinder und Jugendlichen erreicht, für welche die Zugangshürden zu den Regelangeboten besonders groß sind,
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koordinierter, regelmäßiger Austausch und Kooperation der Hilfesysteme von Beginn an und auf Basis eines gemeinsam im Rahmen von multiprofessionellen Fallkonferenzen entwickelten individuellen Förder-, Hilfe- und Therapieplanes.
Ansprechperson

Das Großstadtnetzwerk der Transferagentur für Großstädte
Das Großstadtnetzwerk der Transferagentur für Großstädte ist ein bundesweites Netzwerk von Kommunen, die ein datenbasiertes kommunales Bildungsmanagement aufbauen und weiterentwickeln, um für aktuelle Herausforderungen im Bildungsbereich ressortübergreifende Lösungen zu erarbeiten. Die Treffen fördern den städteübergreifenden Praxis- und Erfahrungsaustausch. Zudem bietet es ein Forum, um Einblicke in gute Praxis vor Ort zu erhalten und Zukunftsthemen für das DKBM zu diskutieren.