
Art:
- Großstadtnetzwerk
Die Förderprogramme „Bildung integriert“ und „Kommunale Koordinierung der Bildungsangebote für Neuzugewanderte“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) bieten Kommunen durch Ressourcen und Personal unter anderem Unterstützung bei der Integration von Neuzugewanderten im Bildungsbereich, indem Strukturen und Angebote geschaffen oder verbessert werden. Die in diesem Zuge neu eingestellten, häufig verwaltungsfremden, Mitarbeitenden stehen einerseits vor einem hohen Handlungsdruck, schnell Erfolge bei der Integration zu erzielen, andererseits brauchen sie als neue Akteure in einem sehr komplexen Handlungsfeld auch Zeit, um sich zu orientieren. Um dem Auftrag dabei gerecht zu werden, muss Integration als Querschnittsthema bearbeitet und die Kooperation von allen relevanten internen und externen Akteuren angestrebt werden.
Was zunächst in der Theorie viele Möglichkeiten birgt, birgt in der Praxis jedoch ebenfalls eine Menge Herausforderungen im Arbeitsalltag. Das Großstadtnetzwerk in Münster der beiden Fachgruppen „Diversität und Bildung“ sowie „Kooperation Kommune und Zivilgesellschaft“ richtete sich aus diesem Grund vor allem an die neuen kommunalen Mitarbeitenden und kommunalen Verantwortlichen der beiden BMBF-Förderprogramme. Das Treffen verdeutlichte die Bedeutung der Programme sowie die dringendsten zu Beginn auftauchenden Fragen und zeigte gleichzeitig Methoden des strategischen Managements auf.
Der Rahmen des Treffens in Münster bestand aus sechs konstruierten Schritten. Diese zeichneten einen Weg mit den wesentlichen Fragestellungen, die sich zu Beginn der Umsetzung eines solchen Förderprogramms stellen – wenn der Antrag bewilligt ist und es an die Umsetzung geht. Flankiert und inhaltlich gefüllt wurden die einzelnen Schritte anhand von Beispielen aus Nürnberg, Salzgitter, Hamburg und Münster. Sie gewährten einen Einblick in die Prozesse einer Koordinierung von Neuzugewanderten und integrierter Ansätze im Bildungsmanagement auf der Grundlage der jeweiligen gesamtstädtischen Strategie und der jeweiligen Erfahrungen.
Ziel des Treffens war, ein tiefergehendes Verständnis der kommenden Aufgaben, der notwendigen Prozessschritte und der damit verbundenen strategischen Steuerung zu erhalten.
Willkommen und Begrüßung durch die Stadt Münster
Thomas Paal, Stadtdirektor der Stadt Münster, Dezernent für Bildung, Jugend und Familie
Thomas Paal, Stadtdirektor und Bildungsdezernent der Stadt Münster, verdeutlichte gleich zu Beginn die Relevanz der beiden Programme: Die Fahrradstadt agiert nicht nur selbst im Rahmen von „Bildung integriert“, sondern darf ebenso die Arbeit der kommunalen Koordinatoren beginnen lassen.
In Münster sind die beiden Ressorts Jugend und Schule erst kürzlich das Thema „Schulsozialarbeit“ angegangen. Auch den Bereich des offenen Ganztags geht die Verwaltung aktuell an. Im Zusammenhang mit dem Treffen des Großstadtnetzwerks betonte Thomas Paal „Netzwerkmanagement ist wichtig. Es sagt sich leicht, doch macht sich schwer.“ Optimistisch blickte er jedoch auf die kommenden Jahre und das Potenzial der immer größeren Vernetzung innerhalb seiner Stadt sowie die zunehmende Vernetzung von Bildungsverantwortlichen deutschlandweit.
Einführung in das Programm und Kennenlernen
Transferagenturen für Großstädte
Eine kurze Einführungsrunde in das anwesende Netzwerk machte sichtbar, dass insgesamt 13 kommunale Koordinatoren der einzelnen Kommunen den Weg nach Münster fanden. Andere Kommunen wiederum befinden sich aktuell noch in der Einstellungsphase oder warten auf die endgültige Antragsbewilligung und waren mit Verantwortlichen bzw. der zukünftigen Begleitung des Förderprogramms vertreten. Ebenso deutlich wurde die sehr differenzierte Ansiedlung an die unterschiedlichen Institutionen bzw. Ämter innerhalb der Kommune.
Impulsvortrag: Neue Migration und Kooperation im Fokus
Iris Lopatta, Transferagenturen für Großstädte
Iris Lopattas Exkurs fokussierte sich vor allem auf die zunehmende Diversifizierung der urbanen Gesellschaft in Europa und speziell in Deutschland. Steven Vertovecs Konzept der „super diversity“ griff sie auf, um die Komplexität und neue Formen der diversen Stadtgesellschaft herauszustellen. Für das Bildungssystem gilt es, die aktuellen Entwicklungen als eine Ausdifferenzierung von unterschiedlichen Teilhabechancen zu verstehen und somit zukünftig noch gezielter institutionellen Benachteiligungen entgegenzuwirken.
Auf operativer, aber auch strategisch und normativer Ebene gilt es, die Bildungsangebote an die Bedarfe der Zielgruppen anzupassen. Für die Umsetzung einer langfristigen Integration gilt es nun vor allem die interne, ressortübergreifende, aber auch die Kooperation mit externen Akteuren in der Kommune weiter auszubauen und zu systematisieren. Obwohl dies eine gesamtstrategische Aufgabe ist, sind die Koordinatorinnen und Koordinatoren eine große Chance für die Kommunen, Überblick und Transparenz zu schaffen und integrative Ansätze in der Kommune weiterhin zu verankern.
Sechs Schritte zur strategischen Steuerung
Anhand von Interviews, Diskussionen im Plenum und Arbeitsphasen zur Reflexion der eigenen Ausgangslage wurden die Schritte mit kommunalen Vertreterinnen und Vertretern bzw. Experten der Stadt Münster, der Stadt Nürnberg und der Stadt Hamburg bearbeitet. Anhand der Schritte konnten unterschiedliche Fragestellungen, die sich zu Beginn der Tätigkeit stellen, beleuchtet und von unterschiedlichen Perspektiven diskutiert werden.
Nürnberg:
Der Nürnberger Stadtrat beschloss 2008 die Einrichtung eines neuen Modells des Nürnberger Bildungsmanagements, um einen möglichst breiten bildungspolitischen Diskurs in der Stadt führen zu können. Sie basiert auf den drei Strukturelementen Bildungsbeirat, Bildungskonferenz und Bildungsbüro und fußt auf der Bildungsberichterstattung, die fortlaufend in diesen Strukturen erarbeitet und debattiert wird. Von 2009-2014 nahm die Stadt an dem Förderprogramm „Lernen vor Ort“ teil und konnte die Strukturen ausbauen und weiterentwickeln. Nürnberg wird auch vom Förderprogramm „Kommunale Koordinierung der Bildungsangebote für Neuzugewanderte“ gefördert. Die Koordinatoren haben ihre Arbeit bereits aufgenommen. www.nuernberg.de/internet/bildungsbuero/
Referent: Herr Dr. Bauer Stiasny, Leiter des Bildungsbüros Nürnberg
Hamburg:
Die Freie und Hansestadt Hamburg war von 2009-2014 „Lernen vor Ort“-Stadt. In dieser Zeit wurde unter anderem das Format der Regionalen Bildungskonferenzen konzeptioniert und etabliert. www.hamburg.de/projektvorstellung-lernen-vor-ort/
Herr Dr. Hans-Peter de Lorent, Abteilungsleiter a. D. „Steuerung und Koordination regionaler Bildungsentwicklung“
Münster:
Die Stadt Münster hat das Förderprogramm „Bildung integriert“ erfolgreich beantragt und ist seit wenigen Monaten in der Umsetzung. Das Programm soll es ermöglichen, lokale Bildungsangebote aufeinander abzustimmen und Kooperationen zwischen den zentralen Bildungsakteuren zu schaffen. Auf diese Weise können verteilte Zuständigkeiten gebündelt - und so Managementstrukturen für ein ganzheitliches Bildungswesen etabliert werden.
Referent/innen: Herr Marcus Luttmer, Bildungsmanager „Bildung integriert“, Frau Kirsten Boriesosdiek, Koordinatorin Netzwerke
Salzgitter:
Salzgitter hat in den letzten Jahren viel Erfahrung mit der Integration Neuzugewanderter ins Bildungssystem gewonnen und arbeitet hierfür an der Weiterentwicklung gesamtstädtischer Ansätze für Bildungsangebote in allen Lebensbereichen. Eine zentrale Funktion kommt hierbei dem Dezernat zu, das Bildung, Soziales, Arbeitsmarkt und Integration vereint und stetig den Kontakt mit externen Akteuren hält. Hier wurde ebenso ein Querschnittsreferat etabliert um die Kooperationsstrukturen weiterzuentwickeln und die Angebote zu systematisieren. Die neuen Mitarbeiterinnen, die durch die Förderprogramme kommen, sind direkt an dieses Referat der Dezernentin angegliedert. Die Präventionskette zur Integration Neuzugewanderter ins Bildungssystem ist hiermit Teil einer umfassenden Integrationsstrategie.
Referent: Herr Hennig Loß, Bildungsmanager „Bildung integriert“
Schritt 1: Wie finde ich den Kern des Auftrags?
Im ersten Schritt der Arbeit muss die Essenz - der eigentliche Auftrag - aus der Antragstellung herausgearbeitet werden. Erst wenn dieser klar ist, kann die eigentliche Koordinierung beginnen. Aber wie kann das gelingen? Die Interviewpartner hatten aus ihrer Erfahrung heraus folgende Hinweise:
- Den Status Quo herausarbeiten: Antragstellung, Dokumentanalyse, Leitbilder und -ziele, formelle und informelle Gespräche mit relevanten Akteuren, Teilnahme an Steuerungs- oder Lenkungsrunden.
- Bündelung und Priorisierung der Informationen.
- Enger Austausch: Mit den Verantwortlichen ins Gespräch gehen und gerade zu Beginn eine enge Kommunikation führen.
- Überprüfung der Ansiedlung der Stelle als kommunaler Koordinator.
- Einverständnis über den Auftrag mit anderen Akteuren abgleichen bzw. definieren.
- Überprüfung des Auftrag-Kerns in regelmäßigen Abständen und ggf. Nachjustierung.
Schritt 2: Wie passt der Auftrag ins große Ganze?
Bei diesem Schritt geht es um die Frage nach der Ausgangslage innerhalb der Kommunen im jeweiligen Themenfeld und um mögliche Überschneidungen sowie handlungsleitende Konzepte und Rahmensetzungen. Bestimmte Themen können bereits von anderen Institutionen oder Programmen besetzt sein. Umso wichtiger ist es, vorher zu analysieren, welche Akteure bereits in welchen Bereichen aktiv sind.
Aus den Antworten der Interviewpartner ergaben sich folgende Empfehlungen:
- Die Voraussetzungen in der Kommune als Rahmen, als „großes Ganzes“ ansehen. Auf dieser Grundlage wird gemeinsam mit den Akteuren der Auftrag geschärft.
- Fokussierung und Bündelung der Themen.
- Parallelstrukturen analysieren und erkennen.
- Relevante Akteure ausfindig machen und wissen, wen ich zu welchem Thema ansprechen kann und somit Zugänge und Konsens schaffen.
- Ins Gespräch gehen (auch in informellen Settings): Dabei verdeutlichen, wie der eigene Auftrag aussieht und darauf achten bzw. sensibel agieren, anderen Akteuren nicht ihre Fachlichkeit und Kompetenz abzusprechen.
- Zuständigkeiten verschiedener Akteure kennen und auf sie (weiter)verweisen können.
Schritt 3: Prioritäten setzen – wo fange ich an?
Der Kern wurde gefunden, doch aller Anfang ist schwer. Nun geht es darum, die weitere Arbeit in konkrete Schritte zu übersetzen und sich nicht in den vielfältigen Ansatzmöglichkeiten zu verzetteln. Durch die strategische Komponente der Arbeit und der politischen Dimension ist es oftmals nicht so einfach, einen Start zu finden oder gar Prioritäten zu setzen.
- Um Erfolgsdruck auszuhalten und Erwartungen zu erfüllen, müssen Erfolg und Erwartung zunächst definiert werden.
- Selbstverständnis der Aufgaben und der Rolle innerhalb der Verwaltungseinheit klären (dabei auch Grenzen beachten).
- „Erkundungstouren“ nach außen machen (dabei etwas „im Gepäck haben“, wie etwa z.B. die Möglichkeit, sich zur Transparenzherstellung in eine Datenbank eintragen zu lassen).
Schritt 4: Sich in der Kommune sichtbar machen
Bei diesem Schritt geht es vornehmlich um die Rolle des kommunalen Koordinators, der sich nicht nur selbst seiner Rolle sicher werden muss – er muss auch von den neuen Kollegen und Kolleginnen akzeptiert werden. Besonders schwierig ist hierbei, dass die Verwaltung meist nicht auf Querschnittaufgaben eingestellt ist. Dieses ist jedoch die Hauptaufgabe der neuen Stelle.
In dieser Phase stellen sich also Fragen wie: Wie mache ich mich überhaupt sichtbar in meinem neuen Umfeld? Wie erhalte ich Mandate? Und wie kann ich nicht nur Prozesse mitbekommen, sondern sie sogar beeinflussen?
- Einbettung in bereits bestehende Strukturen.
- Thematische Kontinuität der Arbeit verfolgen.
- Diplomatisch und sensibel agieren, dennoch nicht darauf verzichten, Ihre Positionen auch zu äußern.
- Jegliche Art von Kommunikation (interne Bekanntmachung über Antragstellung und weiteren Verlauf, interne/externe Newsletter, Bildungskonferenz als Signal Richtung Fachöffentlichkeit und zur Vernetzung).
- Analysieren und Erkennen von „blinden Flecken“ und diese bearbeiten.
- Nachhaltigkeit der eigenen Stelle und Person über die zwei Jahre der Programmlaufzeit immer mit- bzw. hinausdenken.
Exkurs: Strategische Steuerung – Dimensionen und Werkzeuge
Dr. Ellen Künzel, Organisations- und Managementberaterin, Como Consult GmbH, Hamburg
Dr. Ellen Künzel gab im ersten Teil des zweiten Tages allen Teilnehmenden einen Input in die strategische Steuerung auf Basis ihrer langjährigen Erfahrung in kommunalen Prozessen. In den Vordergrund stellte sie dabei vor allem den Kooperationsprozess. Dabei machte sie deutlich: Egal ob im privaten oder öffentlichen Bereich, „obwohl der Wille zur Kooperation da ist, funktioniert Kooperation nur punktuell, oberflächlich oder situativ und nicht strategisch.“ Wieso ist das so? Wo doch die Zutaten einer tatsächlich funktionierenden Kooperation – zumindest aus theoretischer Sicht - klar definiert sind?
Zu dem Interview mit Dr. Ellen Künzel kommen Sie über folgenden Link:
„Kooperation ist ein Musterbruch.“
Schritt 5: Kooperieren – aber wie? Interne Kooperation
Viele Ämter einer Kommune arbeiten in Verwaltungsroutinen. Die systematische und ämterübergreifende Zusammenarbeit im Bildungsbereich ist daher ein komplexes Thema, welches nach wie vor noch eine große Herausforderung für viele Kommunen darstellt. Interne Kooperationen und Absprachen sind natürlich auch grundlegende Voraussetzungen für eine systematische Zusammenarbeit mit externen Akteuren in der Kommune und themenbezogen hoch relevant. Besonders in Hinblick auf die komplexen Anforderungen an das Bildungssystem bei der Integration Neuzugewanderter ist die ämterübergreifende Zusammenarbeit kein Luxus, sondern Notwendigkeit. Um diese Kooperationen zu systematisieren und Transparenz zu schaffen, spielen die kommunalen Koordinatoren einen wichtigen Part. Aber wie kann es den Koordinatorinnen und Koordinatoren gelingen, die wichtigsten Akteure innerhalb der Verwaltung an einen Tisch zu bringen? Wie kann daraus beispielsweise ein regelmäßiger Lenkungskreis zusammenkommen? Wege dahin können sein:
- Offizielles Mandat einholen.
- Anderen Akteuren auf Augenhöhe begegnen.
- Gemeinsame Vorhaben in den Blick nehmen.
- Akteurslandkarten erstellen.
- Interne Kooperation funktioniert dann in Kommune, wenn sie von oben gewollt ist.
Schritt 6: Kooperieren – aber wie? Externe Kooperation
Externe Partner werden vereinzelt und themenspezifisch in die Vorhaben von Ämtern mit einbezogen, oftmals auf einer finanziellen Auftraggeber-/Auftragnehmerebene. Doch auch die Zivilgesellschaft hat einiges zu geben, vor allem im Bereich der Neuzugewanderten ist ihre Unterstützung viel wert. Im letzten Schritt ging es darum, nicht nur ämterübergreifend, sondern auch über die Verwaltungsstrukturen hinweg Partner und Unterstützer dauerhaft im Bereich Integration Neuzugewanderter ins Bildungssystem mitarbeiten zu lassen. Wie kann das gelingen? Zum Beispiel:
- Akteurslandkarten erstellen.
- Mit Stiftungen ins Gespräch gehen – mögliche Ansätze der Zusammenarbeit ausloten.
- Eine Schritt für Schritt-Handreichung zum Thema Kooperation Kommune und Stiftung bietet das Netzwerk Stiftung und Bildung im Bundesverband Deutscher Stiftungen "Kommunales Bildungsmanagement gemeinsam gestalten".
- Für Vorhaben Bündnispartner suchen
- Formate wie regionale/lokale Bildungskonferenzen durchführen, um Übersicht und Einbindung der Akteure herzustellen.







