
Art:
- Großstadtnetzwerk
Die Zusammenarbeit von Bildung und Stadtentwicklung ist in vielen Großstädten ein zentraler Baustein des kommunalen Bildungsmanagement. Stadtplanungsämter und Schulämter arbeiten derzeit meist zusammen, wenn es um die Planung neuer Schulbauten geht. Für die Kommunen ergeben sich aber völlig neue Entwicklungsmöglichkeiten, wenn Stadtentwicklung und Bildung darüber hinaus systematisch zusammen gedacht werden.
Ziele solcher integrierten Ansätze können sein:
- die Öffnung der Schulen in die Quartiere,
- die Nutzung von Schulgebäuden und schulischen Grundstücken als Orte kommunaler Öffentlichkeit,
- die Schaffung von außerschulischen Lernorten (ökologische, kulturelle, politische Bildung) und informellen Bildungsräumen für die Stadtgesellschaft,
- die Entwicklung lokaler Bildungslandschaften und Bildungsverbünde.
Damit dies gelingt, müssen in der Praxis unterschiedliche Akteure eingebunden, Zuständigkeitsbereiche verknüpft und Schnittstellen zwischen lokaler und kommunaler Ebene geschaffen werden. In Köln trafen sich Vertreterinnen und Vertreter aus sieben bundesdeutschen Großstädten sowie vom Regionalverband Ruhr, zwei Stadtplaner und der Vorstand der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft zum zweiten Treffen der Fachgruppe „Bildung und Stadtentwicklung“ im Großstadtnetzwerk der Transferagenturen für Großstädte. Sie alle lernten ein Vorhaben kennen, das erste Antworten auf die Frage darauf gibt, wie die Zusammenarbeit gelingen kann. Einerseits kann die Stadt Köln nach Abschluss einer langjährigen Planungsphase auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Bildung und Stadtentwicklung zurückblicken – mit unterschiedlichen sowohl verwaltungsinternen als auch verwaltungsexternen Beteiligungsmodellen. Zudem zeigt das Beispiel Köln, welche bestärkende Rolle externe Begleiter, hier die Montag Stiftungen Jugend und Gesellschaft und Urbane Räume, durch Prozessbegleitung und Expertise spielen können. Schließlich wurde bei der Bildungslandschaft Altstadt Nord von Anfang an die Vernetzung formaler, non-formaler und informeller Bildung in den Mittelpunkt gestellt. Mit dem Klingelpützpark steht ein informeller Lernraum im Zentrum der Bildungslandschaft, an dem alle Bildungseinrichtungen teilhaben.
Gemeinsam diskutierten die Teilnehmenden vor diesem Hintergrund über Möglichkeiten, Potenziale und Herausforderungen der Zusammenarbeit von Bildung und Stadtentwicklung und die Stärkung informeller Lernräume in Planungsprozessen.
Die Bildungslandschaft Altstadt Nord im Fokus
1. Von der Idee bis zum ersten Spatenstich
Michael Gräbener, Schulamt der Stadt Köln, Projektleiter der Bildungslandschaft Altstadt Nord
Im Jahre 2006 hat die Stadt Köln mit einem Ratsbeschluss bekräftigt, gemeinsam mit den Montag Stiftungen Jugend und Gesellschaft sowie Urbane Räume ein pädagogisches und bauliches Konzept für die „Bildungslandschaft Altstadt Nord“ zu entwickeln – und zwar in einem partizipativen Prozess: Rund um den Klingelpützpark sollen Schulen, Kitas und Jugendeinrichtungen miteinander verzahnt und zum umliegenden Quartier mit seinen informellen Lernorten und -gelegenheiten geöffnet werden. Dadurch soll das Quartier auch für junge Familien attraktiver werden. Das Beispiel Köln zeigt, wie Kommunen über eine reine Schulstandortplanung hinausgehen können – denn Bildungslandschaften umfassen mehr als Schule. Im Ergebnis entstehen in Köln Orte der interkulturellen und generationenübergreifenden Begegnung. Unter dem Motto „Türen öffnen für bedeutungsvolles Lernen“ sollen lebenspraktische Lernanlässe geschaffen und Schule vom Lern- zum Lebensraum werden. Hierfür waren verschiedene Faktoren entscheidend:
Zentrale Erkenntnisse
Innovation durch Beteiligung: „Kein Planschritt ohne Partizipation“
- Alle Planungs- und Entwicklungsschritte sind in partizipativen Prozessen mit den Einrichtung und deren Nutzern im Quartier erfolgt. Dadurch entsteht die Bildungslandschaft Altstadt Nord im engen Zusammenspiel von Stadt und Stiftung. Formale und non-formale Bildungsangebote sowie informelle Lernräume werden eingebunden. Die Bürgerinnen und Bürgern im Quartier werden aktive Stadtgestalter.
- Mitwirkungskonzepte wurden vertraglich zwischen allen Akteuren festgehalten. Insbesondere wurde eine Kooperationsvereinbarung Wort für Wort gemeinsam erarbeitet, die bis heute die Zusammenarbeit verlässlich trägt. Es geht hierbei um eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe.
- Die Beteiligten im Bildungsverbund waren darüber hinaus auch im Lenkungskreis stimmberechtigt und konnten damit Gewicht und Wirksamkeit ihrer Anliegen in die Verwaltung hineintragen. Auch Kinder und Jugendliche wurden z.B. durch Umfragen an der Gestaltung der Bildungslandschaft Altstadt Nord beteiligt. Sie saßen in der Jury, als es um die Auswahl der Entwürfe von Architekten für die jeweiligen Bauvorhaben ging.
- Die Ergebnisse eines so umfangreichen partizipativen Prozess dienen zukünftig auch als Legitimation für neue Schulbauten, in denen noch kein Kollegium vor Ort beteiligt werden kann. Zudem können Beteiligungsprozesse zeitlich deutlich schneller durchgeführt werden, da klar ist, welche Fragen relevant sind. Das Projekt in Köln hat bisher zehn Jahre in Anspruch genommen: Mit dem heutigen Wissen und der Begleitung der Montag Stiftungen kann die so genannte Phase 0 auch auf sechs bis acht Monate verkürzt werden.
- Es wird immer Skeptiker geben, sei es innerhalb der Verwaltung, sei es extern in der Zivilgesellschaft (z.B. gut organisierte Bürgerinitiativen). Dennoch muss man Innovationen wagen und kritische Stimmen einbinden, um diese zu überwinden.
Die Zusammenarbeit von Stadtplanung und Pädagogik: „Eine gemeinsame Sprache finden"
- Ein mehrfacher Perspektivwechsel zwischen den Beteiligten auf pädagogischer und auf stadtplanerischer Seite hilft, die Bedarfe aller zu berücksichtigen. Pädagogische Anforderungen können so in Raumanforderungen übersetzt, Schulprogramme über Raumgestaltungen umgesetzt werden. Hierfür muss es gelingen eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsames Grundverständnis von wichtigen Begriffen zwischen Pädagogen, Architekten und Stadtverwaltung zu entwickeln. „Eine gute technische Lösung muss keine gute pädagogische Lösung sein.“ (Michael Gräbener)
- Denn: „Wir brauchen nicht den Einheitsklassenraum.“ (Michael Gräbener)
- Kommunen können Schule über ihr Raumprogramm deutlich verändern. Innovative Schulraumprogramme benötigen dabei nicht mehr Fläche oder Kosten, wenn man kreativ plant und außerhalb derzeit bestehender Grenzen denkt.
- Zwar werden in Köln parallel zum Prozess in der Bildungslandschaft Altstadt Nord auch weiterhin herkömmliche Schule gebaut. Die Bildungslandschaft Altstadt Nord gilt jedoch als Präzisierungsfall für einen neuen „Planungsrahmen für pädagogische Raumkonzepte
an Kölner Schulen“, welcher pädagogische Standards bei Schulbauprojekten für ganz Köln festlegt. Das Schulamt hat heute für alle Schulneubauten die Federführung.
Lesen Sie hier
Das Interview mit Michael Gräbener "Wir haben über den partizipativen Prozess eine sehr hohe Akzeptanz erreicht."
2. Der Blick der Begleiter: Die Gelingensbedingungen in Köln
Stiftungen als Impulsgeber, Moderatoren und Brückenbauer
Diskussion mit Dr. Karl-Heinz Imhäuser, Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft
Nach dem Einblick in den Prozess in Köln durch Michael Gräbener, diskutierte die Fachgruppe mit Dr. Karl-Heinz Imhäuser den Blick der Begleiter. Was kann man aus Köln für die Zusammenarbeit von Bildung, Stadtentwicklung und Stiftungen lernen? Die Montag Stiftungen Jugend und Gesellschaft und Urbane Räume begleiteten die Stadt Köln in dem Prozess zur Bildungslandschaft Altstadt Nord. Welcher Mehrwert ergab sich aufgrund dieser zusätzlichen Ressource für den Prozess? Und welche Rolle können Stiftungen oder andere externe Prozessbegleiter spielen, um die Zusammenarbeit zwischen den Ressorts und mit externen Partnern zu moderieren?
Prozessbegleitung als Fokus
- Die Themen der nächsten 10 bis 15 Jahre sind alle schon im Projekt der Bildungslandschaft Altstadt Nord angelegt. Die Zukunftsfrage ist: Welche Kompetenzen sind bedeutsam für eine Bildungslandschaft? Alle Partner müssen sich selbstbewusst und auf Augenhöhe in solche innovativen Projekte einbringen. Innerhalb von Verwaltung braucht es hierfür ein hohes Maß an strategischem Management.
- Dass dies in Verwaltung gelingt, ist häufig abhängig von der personellen Besetzung in Schlüsselämtern. Externe Partner wie Stiftungen können solche Prozesse unterstützen. Der Verhandlungsrahmen muss immer im Sinne neuer Gestaltungsspielräume verschoben werden. „Kommunen müssen endlich ernstmachen mit der erweiterten Schulträgerschaft.“ (Imhäuser)
- Die Montag Stiftungen waren in Köln in der Beratung genau hier unterstützend mit ihrer Expertise als Prozessbegleitung tätig, nicht mit finanziellen Ressourcen für den Bau der Bildungslandschaft: „Wir finanzieren Prozesse, keine Steine“, fasst Dr. Imhäuser zusammen.
Zentrale Erkenntnisse
Öffentlichkeitsarbeit als Gelingensfaktor
- Eine gute Öffentlichkeitsarbeit nach innen und außen sollte dabei von Beginn an als wichtiger Gelingensfaktor mitgedacht und umgesetzt werden. So lassen sich Unterstützer gewinnen und das Commitment innerhalb von Verwaltung sichern.
Kommune und Stiftungen: antifragile Strukturen der Zusammenarbeit
- Strategische Nutzung von Stiftungen: Kommunen müssen sich strategisch überlegen, mit welchen Stiftungen sie wann und mit welchem Ziel zusammenarbeiten – was kann eine Stiftung leisten, wofür wollen wir die Expertise nutzen?
- Auf der richtigen Ebene und in neuen Strukturen denken: In der Kooperation müssen Projekte, insbesondere Modellprojekte, in Verwaltung auf der richtigen Ebene angesiedelt sein, damit die Expertise einer Stiftung auch Effekte erzielen und einen Prozess fördern kann. Dazu gehört der Mut, Strukturen der Zusammenarbeit im Verlauf anzupassen, wenn im Prozess neue Anforderungen und Bedürfnisse deutlich werden.
- Respekt vor der gegenseitigen Expertise und den unterschiedlichen Handlungszwängen: Stiftungen lernen genau so viel dazu wie es auch die Verwaltungen tun. Zugleich handeln beide Partner unter Zwängen und Interessen, die miteinander in eine Balance von Nehmen und Geben gebracht werden müssen. Dazu gehört eine hohe Qualität des Miteinanders auf Augenhöhe: „Wir haben uns als Stiftung nie als die besseren Verwaltungsmenschen gefühlt“, fasst es Imhäuser rückblickend zusammen.
- Zeit und Zuverlässigkeit: Wenn Stiftungen solche Prozesse begleiten, muss von Anfang an mitgedacht werden, dass solche Projekte eine langfristige Verlässlichkeit der Begleitung brauchen.
Lesen Sie hier
Das Interview mit Dr. Karl-Heinz Imhäuser "Teile der Prozesse müssen selbstorganisierte Prozesse sein."
Der erste Tag endete mit einem Stadtspaziergang durch die entstehende Bildungslandschaft Altstadt Nord.
Die Anliegen der anwesenden Kommunen
1. Bildung und Stadtentwicklung gestalten Stadt – Fragen, Thesen und Herausforderungen
Nancy Leyda, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Transferagenturen für Großstädte, Standort Berlin
Der zweite Tag startete mit einem fachlichen Input. Nancy Leyda stellte zentrale Thesen und Fragestellungen dar, die es zu bedenken gilt, möchte man die Fachbereiche Bildung und Stadtentwicklung gut verzahnen.
2. Arbeiten an der Schnittstelle von Bildung und Stadtentwicklung
In der ersten Arbeitsphase wurden die Teilnehmenden gebeten, die Strukturen in denen sie an der Schnittstelle von Bildung und Stadtentwicklung in ihrer Kommune mit einem bestimmten Vorhaben arbeiten, zu visualisieren. Besonders in den Blick genommen wurden Prozesse, die gut laufen, und Herausforderungen, die existieren. Anschließend nahmen die Teilnehmenden die Rolle von Beratern ein. Sie stellten Verständnisfragen zum Fall, um im letzten Teil Lösungsvorschläge, Ideen für die Herausforderungen zu sammeln.
3. Unterwegs in deutschen Bildungslandschaften – die Bedeutung informeller Lernorte
für Kinder und Jugendliche
Thomas Gräbel, Studio Urbane Landschaften, Hamburg
Das Forschungsprojekt „Jugendliche unterwegs in deutschen Bildungslandschaften“ untersuchte das Umfeld von acht Jugendlichen im ländlichen und städtischen Bereich. Anhand von Interviews und Filmen wurde durch eine zusätzliche Sicht von Experten eine Bildungslandschaft für das Land und für die Stadt entwickelt. So wurde die Bedeutung informeller Lernorte für Kinder und Jugendliche erfahrbar und die Ergebnisse in die Kommunalverwaltungen zurückgespiegelt. Das Projekt ist eine Zusammenarbeit der Wüstenrot Stiftung und des Studio Urbane Landschaften in Hamburg.
Zentrale Erkenntnisse
Die Bedeutung und die Grenzen von Sozialraum
- Sowohl für Jugendliche in der Stadt als auch auf dem Land haben formale und non-formale Bildungseinrichtungen und die Nutzung informeller Lernräume (z.B. Bank am Flußufer, Treppenaufgang mit Graffiti-Wand) eine hohe Bedeutung. Auch in der Freizeitgestaltung und der Bedeutung sozialer Gruppen (Freunde, Eltern) sind sich die Jugendlichen sehr ähnlich.
- Große Unterschiede gibt es im Erleben von städtischen und ländlichen Räumen (Weite, Ferne, Brachen stark verdichtete Bebauung) in Abhängigkeit des eigenen zu Hause seins in Stadt und Land. Diese Perspektiven und Wahrnehmungsmuster werden auch in Planungsprozessen bedeutsam.
- Es gibt Räume, Zwischenräume und Wege, die Jugendliche täglich zurücklegen und die für sie bedeutsam sind. Um diese in Planungen zu berücksichtigen, muss man nicht nur Akteure, sondern auch Kinder und Jugendliche selbst zu befragen. Dafür braucht es kreative Partizipationsprozesse, die den Kindern und Jugendlichen das Mandat einräumen, ihre Stimme in Planungsprozessen einzubringen.
- Die in der Studie porträtierten Jugendlichen bewegen sich zum größten Teil in ihrem Quartier. Dem Sozialraum kommt in seiner Gestaltung eine enorme Bedeutung zu – z.B. bei der Erleichterung der Übergänge zwischen Bildungseinrichtungen, Möglichkeit des Zugangs zu informellen Lernräumen usw.
- Sozialräume können zugleich eine Ausgrenzung von anderen Teilen der Stadt, mit anderen Möglichkeiten und Angeboten bedeuten. Wenn man den Sozialraum in seiner Bedeutung für Kinder und Jugendliche ernst nimmt, muss man berücksichtigen, wie sich der erlebte Raum in der Stadt über den direkten Wohnort hinaus erweitern lässt und Zugänge zu anderen Lernräumen eröffnet werden.
Lesen Sie hier
Das Interview mit Thomas Gräbel "Persönliches Engagement und Wille zur Kooperation sind maßgeblich."
Das nächste Treffen der Fachgruppe „Bildung und Stadtentwicklung“ wird im November 2016 zusammen mit der Fachgruppe „Lokales Bildungsmanagement“ in Berlin stattfinden. Bearbeitet wird die Frage nach den Potentialen einer systematischeren Zusammenarbeit zwischen Stadtentwicklung und lokalen Bildungslandschaften.