"Kooperation Kommune und Zivilgesellschaft"

Fußgänger - Transferagenturen
Schnell handeln – aber nicht ohne Plan. Wie Kommunen mit guter Koordination die Neue Migration bewältigen.

Art:

Ort:
Heinrich Schmitz Bildungszentrum
(ca. 10 Minuten fußläufig entfernt vom Bahnhof)
Möllerstraße 3
44137 Dortmund
Datum: 
Montag, 25. April 2016 - 11:00 bis Mittwoch, 27. April 2016 - 11:45

Angekommen in Deutschland sollen geflüchtete und zugewanderte Kinder und Jugendliche möglichst rasch in das kommunale Bildungssystem integriert werden. Die Anzahl junger Menschen mit Migrationshintergrund oder Fluchtgeschichte stellt Kommunen jedoch vor große Herausforderungen. Kommunale Koordinatorinnen und Koordinatoren sollen die Zusammenarbeit der Ämter verbessern, Sonderbeauftragte koordinieren ehrenamtliches Engagement und Stabstellen bei Bürgermeistern oder regelmäßige Sitzungen der Amtsleitungen helfen, Geflüchtete neben der Unterbringung und Versorgung schneller und besser zu integrieren – und all dies bei angespannten kommunalen Haushalten.

  • Wie können bei dem hohen Koordinierungsaufwand Doppelstrukturen vermieden werden?
  • Was ist zu beachten bei der strategischen Einbindung von Partnern?
  • Und wie kann die Zusammenarbeit der kommunalen Ämter initiiert oder optimiert werden?


An diesen Fragen arbeiteten Vertreterinnen und Vertreter aus acht bundesdeutschen Großstädten, beim ersten Treffen der Fachgruppe „Kooperation Kommune und Zivilgesellschaft“ im Großstadtnetzwerk der Transferagenturen in Dortmund. Anhand von Praxisbeispielen aus Dortmund, München und Münster wurde diskutiert, wie angepasste und maßgeschneiderte Maßnahmen und Projekte aussehen können. Die Teilnehmenden reflektierten ihre eigenen kommunalen Vorhaben hinsichtlich der Bildungsangebote für Neuzugewanderte und berieten mögliche Ansatzpunkte und nächste Schritte.

Ein Grußwort aus Dortmund
Daniela Schneckenburger, Dezernentin für Jugend, Schule und Familie

Zur Begrüßung skizzierte Daniela Schneckenburger, Dezernentin für Jugend, Schule und Familie, die Arbeit der Stadt Dortmund im Bereich der Neuen Migration und machte die Bedarfe im Bildungsbereich deutlich. In der jetzigen Situation brauche es Konzepte und Strategien für die Ankommenden, und auch Strukturen für Quereinsteiger wie etwa das Projekt „angekommen in deiner Stadt Dortmund“. Bezüglich der Strukturen für Neuzugewanderte sollten auch Zuwanderer aus Südosteuropa mitgedacht werden, deren Anzahl im Ruhrgebiet in einigen Städten stetig steigt. Das bringe auch Veränderungen im demografischen Wandel mit sich: Jahrelang gab es im Ruhrgebiet einen Diskurs des Schrumpfens, nun wachsen die Städte wieder. Daher sei es wichtig, schnell zu handeln aber nicht ohne Plan. Um diesem Wandel gerecht zu werden, brauche es in den Verwaltungen sowohl strukturelle, aber auch thematische und inhaltliche, konzeptionelle Veränderungen. Der normative, inhaltliche Kern müsse unter die Lupe genommen werden.
Dazu brauche es alle Akteure, auch die Zivilgesellschaft, damit eine kommunal-staatliche Verantwortungsgemeinschaft gelinge.

Bildung in der Migrationsgesellschaft: Zur Inklusion neu zugewanderter Schülerinnen und Schüler
Prof. Dr. Lisa Rosen, Universität Osnabrück

Prof. Linda Rosen von der Universität Osnabrück erläuterte in ihrem Vortrag die notwendige Auseinandersetzung mit dem Thema Mehrsprachigkeit in Schule: Neben dem Diskurs müsse es echte Strategien geben, um Mehrsprachigkeit im Unterricht für das Lernen effektiv einzusetzen, wertzuschätzen – und vor allem nicht zu unterbinden.

  • Die Realität unterscheide sich noch sehr vom Diskurs, vor allem die Ausbildung der Lehrkräfte müsse angepasst werden.
  • Das deutsche System selektiere sehr früh und institutionelle Diskriminierung (Verankerung im System) führt dazu, dass junge Menschen mit Migrationshintergrund in Haupt- und Förderschulen über- und auf den Gymnasien unterrepräsentiert sind.
  • Verschiedene Modelle der Integration von Neuzugewanderten ins Bildungssystem.
  • Die Herkunftssprache für Geflüchtete ist oft das einzige, das sie von zu Hause mitnehmen und daher besonders zentral für die eigene Identität. Daher ist es wichtig, dass im Lernprozess auf diese Sprache zurückgegriffen werden darf.
  • Lehrkräfte mit Migrationshintergrund sind nicht allein aufgrund dessen in der Lage, Mehrsprachigkeit didaktisch umsetzen zu können: Sie sind ebenfalls geprägt von Diskriminierung der Herkunftssprache in der eigenen Biografie.
  • Zentral ist die Lehrerausbildung, die zum einen den Wechsel hinsichtlich Haltungsfragen und Perspektivwechsel auf Mehrsprachigkeit und zum anderen konkrete fachdidaktische Konzepte bedarf.

Die gesamtstädtische Strategie zur Beschulung von neu aus dem Ausland zugereisten Kindern und Jugendlichen in Dortmund mit besonderem Fokus auf das Integrationsprogramm „angekommen in deiner Stadt“
Phyllis Paul, Projektleitung Dienstleistungszentrum Bildung der Stadt Dortmund
Wolfgang Euteneuer, Projektleitung „Angekommen in deiner Stadt Dortmund"

Phyllis Paul stellte die gesamtstädtische Strategie zur Beschulung von neu aus dem Ausland zugereisten Kindern und Jugendlichen in Dortmund vor und ging dabei auf die geplante Einbettung der „Kommunalen Koordinierung der Bildungsangebote für Neuzugewanderte“ ein.Sie erläuterte das Projekt „angekommen in deiner Stadt“ und dessen Kooperationsstrukturen. „Die Strukturen, die in den letzten Jahren hinsichtlich der Zuwanderung aus Südosteuropa aufgebaut worden sind, wie etwa das Netzwerk EU-Zuwanderung, kommen uns nun zugute“, so Paul. Sie wies dabei auch auf die besondere Struktur der Dienstleistungszentrums Bildung (DLZB) hin: Die Anlaufstelle für Seiteneinsteiger liegt in gemeinsamer Verantwortung des DLZB, des Schulamts für die Stadt Dortmund und des Kommunalen Integrationszentrums und kann daher alle Fragen rund um Bildung für die Zielgruppen beantworten oder ggf. an die passende Institution weitervermitteln.
Wolfgang Euteneuer stellte die Inhalte des Projekts „angekommen in deiner Stadt Dortmund“ vor und ging dabei auf die Einbindung von anderen Projekten ein, wie etwa „Willkommen im Fußball“, ein Programm der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung.

Mehr dazu auch im aktuellen „bewegt“-Magazin in der Rubrik „Quergedacht“

Maßgeschneiderte Ansätze und Kooperationen im kommunalen Bildungsmanagement aus Dortmund, München und Münster
Gespräch mit

Björn Schalles, Geschäftsführer, Trägerkreis Junge Flüchtlinge e.V./ SchlaU-Schule
Phyllis Paul, Projektleitung Dienstleistungszentrum Bildung der Stadt Dortmund
Klaus Ehling, Amtsleitung, Amt für Schule und Weiterbildung Stadt Münster

München
Björn Schalles präsentierte das Konzept der SchlaU-Schule (Schulanaloger Unterricht für Flüchtlinge). Er stellte heraus, dass vor allem die Kommunikation auf Augenhöhe und Erkennung der Potenziale ein zentraler Punkt sei, der in dem Konzept berücksichtigt sei. in höhere Klassenstufen. Der analoge Unterricht habe den Vorteil, dass Schule als Schutzraum fungiere und außerdem eine sehr hohe Erfolgsquote habe. Durch ihre langjährigen Erfahrungen im Bereich der Beschulung von neuzugewanderten Jugendlichen ist die SchlaU-Schule außerdem in vielen Gremien im Land Bayern und in der Stadt München vertreten. Das Konzept verfolgt einen selbst auferlegten bildungspolitischen Auftrag bzw. will Einfluss auf die bildungspolitische Landschaft der Bundesrepublik Deutschland nehmen. Dazu wurden weitere Organisation gegründet, um den vielen Anfragen gerecht zu werden und die landesspezifischen Besonderheiten im Bildungssystem berücksichtigen zu können.

Dortmund
Ausgehend vom SchlaU-Schulen-Konzept hat man sich für eine direkte Integration ins Schulsystem entschieden bei der Konzeption des Projekts „angekommen in deiner Stadt“.
Ausgangspunkt war das Ziel Dortmunds: Die Etablierung eines regionalen, zielgruppenspezifischen, bedarfsgerechten, kompetenzorientierten und ganzheitlichen Bildungsangebots für geflüchtete und zugewanderte junge Menschen zwischen 16 und 25 Jahren. Die Stadt suchte nach einer Lösung, um die junge Geflüchtete schnell in das Bildungssystem integrieren zu können und blickte zunächst nach München. In der dortigen SchlaU-Schule werden unbegleitete Flüchtlinge zwischen 16 und 21 Jahren unterrichtet. Die Schülerinnen und Schüler erhalten eine Ausbildung analog zum Kernfächerkanon der bayerischen Mittelschulen und- werden individuell gefördert. Dortmund hat die SchlaU-Schule besucht, um sich vor Ort einen Eindruck von dem Konzept zu verschaffen. Daraufhin erarbeiteten die Walter Blüchert Stiftung, das Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW und die Stadt Dortmund gemeinsam ein Konzept, das Projekt „angekommen in deiner Stadt“.

Münster
Im Sommer 2016 startet „angekommen in deiner Stadt Münster“. Grundlage ist die Neukonzeption der Beschulung von neuzugewanderten Kindern und Jugendlichen in der Stadt Münster. Die Integration der neuzugewanderten Kinder und Jugendlichen folgt nach einer Beratung in der Clearingstelle/Bildungsberatung in alle Schulformen. Hinzukommt u.a. die pädagogische Begleitung durch Fallscouts, mobile Sozialpädagoginnen und -pädagogen, die für ein ressort- und ämterübergreifendes Angebots- und Unterstützungsnetzwerk sorgen.
Bei „angekommen in deiner Stadt Münster“ sind die sechs Berufskollegs Münsters eingebunden. Als außerschulischer Lernort und Treffpunkt fungiert das Jugendausbildungszentrum gGmbH (JAZ) der Caritas, das zugleich weiterer Kooperationspartner ist. Weitere Kooperationspartner sind der Hochschulsport, der mit einem Paten-Angebot das Kennenlernen und den persönlichen Austausch mit Studentinnen und Studenten der Westfälischen Wilhelms-Universität fördern und den angekommen-Jugendlichen über 100 Sportangebote des Hochschulsports anbieten wird. Über die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft sollen die Neuankömmlinge erste Einblicke in die Arbeitswelt und das Berufsleben gewinnen können.

Stadtteilspaziergang durch die Dortmunder Innenstadt-West
Helga Beckmann, Quartiersmanagement Rheinische Straße

Nach der Diskussion führte Helga Beckmann, Managerin des Quartiers Rheinische Straße, die Gruppe zum Jugend- und Kulturcafé JKC, eine zentrale Einrichtung für Jugendliche und junge Erwachsene. In der Rheinischen Straße gab es jahrelang eine starke faschistische Szene. Politik und Stadtverwaltung forcierten und professionalisierten den institutionellen Einsatz gegen diese Anmietungen und konnten das Haus, in dem nun JKC und das Respektbüro des Jugendamts angesiedelt sind, nazifrei machen. Die Entwicklung des anspruchsvollen Konzepts gemeinsam mit den Jugendlichen übernahm das Jugendamt.
Weiter ging es zum Haus der Vielfalt, dem Jugendbildungshaus für Migrantenjugendliche, organisiert vom Verband der Migrantenselbstorganisationen in Dortmund – VMDO e.V. Der Leiter Dr. Ümit Koşan ging auf die Kooperation mit der Stadt ein und verdeutlichte die Aktivitäten der Migrantenorganisation.

Kommunale Koordinierung der Bildungsangebote für Neuzugewanderte:
Die kommunalen Anliegen im Fokus

Im Zentrum des zweiten Tages waren die konkreten Anliegen, Entwicklungsvorhaben und Fragestellungen der anwesenden Städte. Der Schwerpunkt wurde dabei auf die Anträge der Kommunalen Koordinierung der Bildungsangebote für Neuzugewanderte gelegt.

Strategische Koordination – Was ist das eigentlich?
Dr. Lutz Liffers, eh. Leitung Transferagenturen für Großstädte

Zu Beginn verdeutlichte Lutz Liffers, eh. Leiter der Transferagenturen für Großstädte Hamburg/Bremen, die strategische Bedeutung der kommunalen Koordinatoren. Dabei skizzierte er zunächst die gesellschaftliche Entwicklung mit dem Zuzug seit den 1950er Jahre und der neuen, sehr viel heterogeneren Zuwanderung seit den 90ern. Die Nationalität allein ist nicht ausreichend, um die Heterogenität der Identitäten zu erfassen. Neben der sozialen Lage ist die Herkunft nur ein Kriterium von vielen. Das heißt, sie sagt immer weniger aus in der superdiversen Gesellschaft. Daher braucht es einen Wandel und Konzepte und Strategien in allen Bildungsbereichen (beruflicher Qualifizierung, im Monitoring (Migrationshintergrund als Kategorie, etc.). Für die Koordinationsformen heißt das, dass über Ressorts hinweg, aber auch über Verwaltung hinweg kooperiert und gehandelt werden muss: innerhalb der Verwaltung, rechtskreisübergreifend, mit zivilgesellschaftlichen Partnern. Die kommunalen Koordinatoren haben daher eine strategische, übergeordnete Relevanz und sollten die Strukturen dahingehend weiterentwickeln. [Powerpoint]
In einer Art Werkstatt wurden den Vertreterinnen und Vertretern der Kommunen, ein Baukasten der „Verwaltung“ übergeben, das um Tätigkeiten und externe Akteure ergänzt war.
Im nächsten Schritt waren die Kolleginnen und Kollegen aufgefordert, ihre Ziele hinsichtlich der kommunalen Koordinierung anhand ihrer Strukturen und der „Ansiedlung“ dieser zu verdeutlichen. Im Rahmen dessen hatten die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Möglichkeit, ausführlich Nachfragen zu stellen und Empfehlungen zu formulieren, um die Arbeitsstruktur und -strategie zu reflektieren.

Fazit und Ausblick auf die nächste Fachgruppe

Damit die Koordination funktioniert, müssen auch hier passgenaue Lösungen gefunden werden und auf die jeweiligen kommunalen Ausgangslagen eigene Strategien, Ausrichtungen und Anpassungen gefunden werden. Dabei muss die strukturelle Komponente stark mit der der strategischen Zielrichtung (was wollen wir erreichen?) verknüpft sein.

Das nächste Treffen der Fachgruppe „Kooperation Kommune und Zivilgesellschaft“ findet am 1. November 2016 gemeinsam mit der Fachgruppe „Diversität und Bildung“ statt. Dort wird es auch um das Förderprogramm „Kommunale Koordinierung der Bildungsangebote für Neuzugewanderte“ gehen.

Ansprechperson