
Art:
- Großstadtnetzwerk
Immer mehr Kommunen machen es sich zur Aufgabe, die Bildungsbiografien ihrer Bürgerinnen und Bürger vor Ort zu gestalten. Dabei unterscheiden sich aber häufig die Ausgangsvoraussetzungen innerhalb einer Stadt. Vor allem in benachteiligten Quartieren wird es immer wichtiger, dass Bildung und Stadtentwicklung gemeinsame Perspektiven entwickeln und Verbundprojekte initiieren. So können zum Beispiel das Profil und die Architektur von Schulen auf das umliegende Quartier ausgerichtet und durch qualitativ hochwertige Bildungsangebote Segregationsprozessen entgegengewirkt werden. Damit dies gelingt, müssen in der Praxis unterschiedliche Akteure eingebunden, Zuständigkeitsbereiche verknüpft und Schnittstellen zwischen lokaler und kommunaler Ebene geschaffen werden. In Leipzig trafen sich Vertreterinnen und Vertreter aus sechs bundesdeutschen Großstädten sowie vom Regionalverband Ruhr zum Auftakt der Fachgruppe „Bildung und Stadtentwicklung“ im Großstadtnetzwerk der Transferagenturen für Großstädte. Gemeinsam diskutierten sie über Möglichkeiten, Potenziale und Herausforderungen der Zusammenarbeit von Bildung und Stadtentwicklung.
Dabei stand neben dem Praxisbeispiel der Quartiersschule im Leipziger Osten der kollegiale Austausch zu den Entwicklungsvorhaben der teilnehmenden Städte im Vordergrund.
Begrüßung am ersten Tag: „Leipzig: Bildung in der wachsenden Stadt“
Zur Begrüßung sprach Karsten Gerkens, Amtsleiter für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung über die zunehmende Bedeutung von Bildungslandschaften in der Stadterneuerung, wie sie sich im Osten Leipzigs am Beispiel der Quartiersschule zeigt.
Zentrale Punkte waren:
- Neben dem Gebäudeerhalt rückte zunehmend die Verbesserung der Sozialstruktur und der Bildungschancen in den Fokus der Stadterneuerung im Leipziger Osten.
- In diesem Zusammenhang wird nun Konzept einer Quartiersschule mit Gymnasium und Oberschule umgesetzt, das im Rahmen des Bundesprogramms „Lernen vor Ort“ entstanden ist.
- Im Stadtteil war die Motivation von Anfang an hoch; neben der Vernetzung der Akteure vor Ort braucht es aber auch eine ressortübergreifende Zusammenarbeit.
- Zwischen neuen Verantwortlichkeiten und alten Verwaltungsstrukturen fehlt es dabei jedoch zum Teil an der Passung – hier müssen Kommunen neue Organisationsstrukturen entwickeln.
Vortrag und Diskussion: „Urbane Bildungsräume gestalten – Schnittfelder von Bildung und Stadtentwicklung“
Im Anschluss gab Prof. Dr.-Ing. Angela Million von der Technischen Universität Berlin Einblicke in die Schnittfelder von Bildung und Stadtentwicklung. Ihre wichtigste Botschaft: Trotz der geteilten Überzeugung, dass der Stadtraum als sogenannter dritter Pädagoge für Bildungsprozesse eine zentrale Rolle spielt, liegen noch wenig konkrete Erkenntnisse oder praktische Modelle zur gelingenden Zusammenarbeit von Bildung und Stadtentwicklung vor.
Weitere zentrale Punkte:
- Es gibt ein starkes Eigeninteresse der Kommunen, sich im Bildungsbereich zu engagieren, um Bildungschancen zu verbessern und die Entwicklung von Stadtteilen positiv zu beeinflussen.
- Im Bereich der formellen Bildung besteht momentan ein enormer Bedarf an Neubau- und Modernisierungsvorhaben – dies bietet die Chance gemeinsam zukunftsfähig zu bauen.
- Die nationale Stadtentwicklungspolitik schafft durch Bundesprogramme Anreize, „zusammen zu bauen“ (vgl. Altstadt-Nord in Köln, Campus Technicus in Bernburg).
- Eine zentrale Herausforderung liegt in der Entwicklung von kommunalen Organisationsstrukturen, die ein ressortübergreifendes Arbeiten jenseits genuiner Zuständigkeiten ermöglichen.
- Bundesprogramme und Stiftungen sind hierbei derzeit die „Agenda Setter“.
- Haben Kommunen bereits Prozesse der Zusammenarbeit von Bildung und Stadtentwicklung durchlaufen, erleichtert dies zukünftige gemeinsame Projekte:: „Die erste Bildungslandschaft ist die schwierigste. Alle Nachfolgeprojekte profitieren von den einmal etablierten Strukturen.“
In der Diskussion standen folgende Punkte im Zentrum:
- Sich über Fachbereiche hinweg zu verständigen, stellt häufig eine Herausforderung dar, wie eine Teilnehmerin anmerkt: „Wir bewegen gleiche Themen, können aber oft nur schwer miteinander sprechen.“ Hier braucht es Verständigungsarbeit und den Abbau von Vorurteilen.
- Zudem können die unterschiedlichen Logiken von (oft nicht abgestimmten) Bundes- oder Landesprogrammen aus verschiedenen Ministerien die Zusammenarbeit vor Ort erschweren. Generell gilt es, stärker in Verbundprojekten zu denken und Ressourcen zusammenzubringen.
- Interesse gab es von den teilnehmenden Städten u.a. an der Frage, in welchen Strukturen beispielhafte Projekte gemanagt werden (z.B. Kooperationsverträge mit Verwaltung und Akteuren vor Ort, externe Unterstützung durch Stiftungen, etc.).
- Zudem hielten die Teilnehmenden fest, dass ein großer Mehrwert darin besteht, bereits etablierte Strukturen zu nutzen und hier weitere Fachbereiche einzubinden.
Gesprächsrunde: „Quartiersschule Leipzig: Neuer Schultyp für neue Stadträume“
In einer Gesprächsrunde berichteten Dr. Tobias Peter, Beauftragter der Stadt Leipzig für die Konzeptentwicklung der Quartiersschule, Uwe Hempel, Schulleiter einer Schule im Leipziger Osten, Mary Uhlig, Koordinatorin Schönefeld/Quartiersschule und Petra Hochtritt, Abteilungsleiterin im Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung, von ihren Erfahrungen bei der Entwicklung und Umsetzung der Quartiersschule im Osten von Leipzig.
- Das Konzept der Quartiersschule wurde von 2009 bis 2014 im Rahmen des Bundesprogramms „Lernen vor Ort“ entwickelt.
- Die Quartiersschule folgt einer Campusidee: formale und non-formale Bildungsangebote und -akteure sollen vernetzt und an einem Ort zusammen geführt werden; zugleich entsteht ein neues Zentrum für den Stadtteil.
- Ziel ist es, die Bildungsgerechtigkeit zu erhöhen und dem Stadtteil zu einer größeren Sichtbarkeit zu verhelfen. Hierzu wird eine Verzahnung von Raumplanung und pädagogischen Konzepten angestrebt und die Bedarfe im Stadtteil mitgedacht.
Die wichtigsten Bedingungen, damit dies gelingt, sind:
- Es braucht Ressourcen zur Koordinierung vor Ort, um Bildungspartner zu vernetzen und die Abstimmung zwischen Stadtteil und Verwaltung zu organisieren: Die Koordinatorinnen und Koordinatoren müssen Experten für Verwaltung, Schule und externen Partnern sein.
- Es braucht Strukturen, um die verwaltungsinterne Zusammenarbeit in Abstimmung mit dem Stadtteil zu koordinieren. In Leipzig gab es hierzu mehrere Konzeptgruppen auf Stadtteilebene sowie eine Planungsgruppe in der Verwaltung, die mit den Konzeptgruppen rückgekoppelt war.
- In einer ressortübergreifenden Zusammenarbeit braucht es transparente Verantwortlichkeiten: Es muss klar sein, wer die Kooperationskonstellation steuert und wie die verschiedenen Ebenen wie Stadtteil, Gesamtstadt und Land für innere Schulangelegenheiten dauerhaft eingebunden werden können.
- Die politische Ebene muss immer wieder für das Projekt gewonnen werden, um eine Unterstützung langfristig zu sichern.
- Es braucht einen langen Planungshorizont und Durchhaltevermögen. Die Leitidee der Quartiersschule ist schon im Stadtentwicklungskonzept eingebunden, seit 2010 arbeitet man an der Umsetzung der Idee. Immer wieder mussten Konzepte verworfen und überarbeitet werden, da es erneute Abstimmungen zwischen strategischer und operativer Ebene gab.
Stadtteilspaziergang durch den Leipziger Osten: "Von informellen Lernräumen und Bildung in der Quartiersentwicklung"
Nach der Diskussion ging es für die Gruppe mit Ralf Elsässer vom Quartiersmanagement zum Stadtteilspaziergang in den Leipziger Osten. Dabei stand zunächst die Gestaltung informeller Lernräume im Fokus, wie sie sich am Beispiel des Stadtteilparks Rabet verdeutlichen lässt.
Danach besuchten die Teilnehmenden mehrere Einrichtungen und Initiativen, an denen die Kooperation zwischen Stadtteil, Quartiersmanagement und Bildungsakteuren ganz konkret sichtbar wurden: etwa im KiFaZ, einem Kinder- und Familienzentrum, das eng mit dem Quartiersmanagement und den Netzwerken im Stadtteil zusammenarbeitet und sich so bewusst zum Stadtteil öffnet.
Begrüßung am zweiten Tag
Zum Einstieg in den zweiten Tag führte Dr. Lutz Liffers von den Transferagenturen für Großstädte noch einmal die wesentlichen Erkenntnisse des ersten Tages des Fachgruppentreffens zusammen:
- Bildungsentwicklung findet im politischen Raum statt: Die politische Unterstützung kann bröckeln und muss darum für ressortübergreifende Projekte immer wieder gesichert werden.
- Bildung und Stadtentwicklung agieren häufig mit verschiedenen Bezugspunkten: Während Bildung sich an der Schulpolitik des Landes orientiert, findet Stadtentwicklung/-erneuerung auf kommunaler Ebene statt – hier braucht es funktionierende Schnittstellen.
- Daneben braucht es gute Modelle, um Erfahrungen und Bedarfe aus den Stadtteilen in die Verwaltungsroutine zu bringen und umzusetzen.
- Um den Gesamtprozess zu koordinieren, braucht es jemanden, der den „roten Faden“ – oft über Jahre hinweg – hält und das Projekt mit klarem Mandat vorantreiben kann.
- Häufig treffen verschiedene Förderlogiken im Stadtteil aufeinander – auch hier bietet eine Abstimmung und Koordination viele Chancen und neue Möglichkeiten.
Die Präsentation mit der Zusammenfassung des ersten Tages finden Sie hier.
Im Zentrum des zweiten Tages standen die konkreten Anliegen, Entwicklungsvorhaben und Fragestellungen der anwesenden Städte. Dazu stellten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich zunächst gegenseitig ausführlich ihre Themen im Bereich Bildung und Stadtentwicklung vor. Anhand der Methode der „Kollegialen Fallberatung“ wurden zwei Anliegen vertieft diskutiert und nächste Schritte und Lösungswege beraten.
Fazit und Ausblick auf die nächste Fachgruppe
Die Zusammenarbeit von Bildung und Stadtentwicklung zu stärken, ist für viele Kommunen ein neues und vielversprechendes Zukunftsthema. Dabei geht es darum, Schulverwaltung und Stadtentwicklung für gemeinsame Ziele und Vorhaben – über die Pflege des Schulbaubestands hinaus – zu aktivieren. Gemeinsame Vorhaben können sowohl pädagogische Innovation erzeugen als auch Bildung zu einem Motor für die soziale Stadtentwicklung machen. Beide Felder werden traditionell von unterschiedlichen Landes- bzw. Bundes-Ministerien „bespielt“ – an der Schnittstelle können Kommunen ihren Handlungsspielraum klug erweitern. Eine besondere Chance besteht auch darin, Schuldaten und sozialräumlicher Daten zur Stadtteilentwicklung zusammenzuführen. Ein solches weitgefasstes Bildungsmonitoring bietet weitreichende Entscheidungs- und Legitimationsmöglichkeiten.
Um dies zu realisieren, braucht es gute Strukturen, die jedoch oftmals erst aufgebaut werden müssen. Dabei geht es einerseits um die Kooperation im Stadtteil, andererseits um Schnittstellen zwischen Stadtteil und Verwaltung sowie um Modelle zur ressortübergreifenden Zusammenarbeit innerhalb von Verwaltung.
Das nächste Treffen der Fachgruppen „Bildung und Stadtentwicklung“ wird im Mai 2016 stattfinden und sich genau diesen Fragen widmen: Wie können Aktivitäten aus Richtung Stadtentwicklung und aus dem Bereich Bildung vor Ort und in Verwaltung gut aufeinander bezogen und abgestimmt werden? Welche neuen Modelle der Zusammenarbeit lassen sich identifizieren?
Der Ort und der genaue Termin sind derzeit in Abstimmung und werden auf unserer Veranstaltungsseite bekannt gegeben.