1. Kapitel

Die Bildungskoordinatoren stehen für eine Öffnung der Verwaltung und der Gesellschaft im Sinne einer gelebten Willkommenskultur

Interview mit Volker Grendel,
Fachbereichsleiter Gesundheit und Soziales, Stadt Emden

Warum benötigen Kommunen aus Ihrer Sicht eine Bildungskoordination für Neuzugewanderte? Welche Ziele sollten mit der Einrichtung der Stelle verbunden sein – wie war das bei Ihnen vor Ort?

Auch in Emden kam es im Oktober 2015 zu einer Überlastung der Landesaufnahmeeinrichtungen und einer Inanspruchnahme von Amtshilfe durch die Kommunen. Die Lage konnte schon als Krisenszenario beschrieben werden. Neben den bereits zu Beginn des Jahres deutlich gestiegenen Flüchtlingszahlen und den damit verbundenen Herausforderungen für das Land mussten die niedersächsischen Kommunen innerhalb von zwei Wochen eine erhebliche Anzahl unmittelbar von der Grenze überführter Personen aufnehmen. Spätestens jetzt wurde die Neuzuwanderung in den Kommunen als Querschnittsthema wahrgenommen. Es wurden dringend entsprechende vernetzte Strukturen benötigt. Zeitgleich stieg zudem auch noch die Zuwanderung aus der EU deutlich an. Das hat auch dazu geführt, dass mit der Vielfalt an Biografien, kulturellen und religiösen Hintergründen, aber auch unterschiedlichen Lebenszielen der Menschen, neue Herausforderungen entstanden. In der Folge kam es zur Überlastung der Regelsysteme von Kita, Schule und Erwachsenenbildung, die nicht ausreichend auf diese neue Aufgabe vorbereitet waren.

Mit Hilfe der Bildungskoordination war es in der Stadt Emden einerseits möglich, die bestehenden Bildungsangebote für Neuzugewanderte zu erfassen, zu bewerten und sinnvoll zu ergänzen. Andererseits konnten die erhobenen Daten mit Hilfe einer individuellen Kompetenzanalyse auf Basis einer typspezifischen Förderkette für die Bildungsberatung als Maßnahmenkatalog nutzbar gemacht werden. Aus meiner Sicht waren damit neben dem koordinierenden Ansatz die prioritären Ziele der Bildungskoordination weitgehend erfüllt. Diese Ziele sind die Herstellung von Transparenz über die Bildungsangebote, die Erhöhung von Nutzbarkeit und Reichweite der Angebote. Hinzu kommt eine individuelle, aber auch verlässliche Entwicklungsperspektive, die mit den jeweiligen Neuzugewanderten gemeinsam erarbeitet wird. Des Weiteren waren im Erwachsenenbereich durch die unterschiedlichen Fördermöglichkeiten und -programme aus Bundes-, Landes- und Drittmitteln zeitgleich eine Vielzahl von Angeboten ohne kommunale Mitwirkung entstanden. Sie waren weder zeitlich koordiniert noch inhaltlich aufeinander abgestimmt. Viele der Maßnahmen warben voneinander unabhängig Teilnehmende. Die Neuzugewanderten meldeten sich zudem hoch motiviert in mehreren angebotenen Maßnahmen an. So wurde trotz voller Anmeldelisten selten die angestrebte Teilnehmerzahl erreicht. Dadurch blieben einige Bewerber unnötig unversorgt.

Erst die über regelmäßige Netzwerktreffen initiierte zeitliche Koordination und inhaltliche Abstimmung (u. a. durch gemeinsame Lehrwerke) bei gleichzeitigem Abgleich der Anmeldelisten (auf Basis einer persönlichen Datenfreigabeerklärung) führte hier ohne die Beschneidung einzelner Bildungsanbieter zu einer bestmöglichen Ausnutzung der vorhandenen Angebote und Kapazitäten. Gleichzeitig stellt die rechtskreisübergreifende Koordination (insbesondere bei gemeinsamen Einrichtungen) mit eigenen Programmen und Maßnahmen sowie weiteren externen Stakeholdern (z. B. BMAS für Integrationskurse) eine zusätzliche Herausforderung dar. Obwohl sie kaum beeinflussbar sind, müssen diese Akteure schließlich auch berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang stellt der Datenschutz eine besondere Hürde dar.

Welche Voraussetzungen sollten aus Ihrer Sicht gegeben sein, um mit der Bildungskoordination einen Mehrwert für das kommunale Verwaltungshandeln zu erzielen? Welche wesentlichen Faktoren sind entscheidend?

Die Bildungskoordination für Neuzugewanderte ist in Emden mit dem Bildungsmanagement und der regionalen Sprachförderkoordination als Projektverbund „BILDUNG leben in Emden“ organisatorisch der Stabsstelle Integrierte Sozialplanung zugeordnet. Diese wird wiederum über eine Lenkungsgruppe bestehend aus den drei Fachbereichsleitern Stadtentwicklung und Wirtschaftsförderung, Gesundheit und Soziales sowie Jugend, Schule und Sport gesteuert. So wird neben einer unmittelbaren und interdisziplinären Anbindung an die Entscheidungsebenen der relevanten Fachbereiche (Anschlussfähigkeit, Verbindlichkeit) auch die notwendige Expertise aus der Sozialplanung (Datenmanagement, Zielorientierung) sichergestellt.

Über den Projektverbund wird zudem ein strategischer und systematischer Ansatz (Effektivität) gewährleistet, der zu Synergien in der Bearbeitung der Einzelprojekte (Effizienz) führt. Durch die Entwicklung der für die Bildungskoordination, aber auch für die regionale Sprachförderkoordinierung relevanten Ziele aus dem Zielsystem des Bildungsmanagements wird eine wechselseitige Durchlässigkeit implementiert sowie eine

durchgängige Strategie garantiert. In Verbindung mit kurzen Entscheidungswegen wird so ein klares, umfassendes und belastbares Mandat für die Bildungskoordination geschaffen. Es erhält somit auch die notwendige Durchsetzungsfähigkeit gegenüber den übrigen Beteiligten.

Worin sehen Sie persönlich den größten Mehrwert einer Koordinierungsstelle?

Persönlich sehe ich noch eine weitergehende Dimension in der Schaffung und Besetzung einer solchen Koordinierungsstelle. Aus meiner Sicht stellt sie eine zusätzliche Chance dar. Die Stadt Emden beschäftigt seit mehreren Jahren in der Koordinierungsstelle für Migration und Teilhabe sehr erfolgreich eine Mitarbeiterin mit Migrationshintergrund und Fluchterfahrung. Hierdurch bestärkt, ist es der Stadt Emden durch eine entsprechend formulierte Ausschreibung gelungen, die Stelle des Bildungskoordinators im Sinne einer Peer-Beratung mit einem 2013 Zugewanderten iranischer Nationalität zu besetzen. Er spricht und schreibt sowohl Farsi als auch Arabisch und hat in seiner Heimat Deutsch als Fremdsprache unterrichtet. So konnten in kurzer Zeit stabile Kontakte nicht nur zu den Bildungsträgern, sondern auch unmittelbar zur Zielgruppe hergestellt werden. Mit seinem Fachwissen, aber auch mit dem Hintergrund seiner eigenen Lernbiografie konnte verhältnismäßig schnell eine über eine einfache Koordinierung hinausgehende Strukturierung des Sprachförderangebotes erreicht werden. Zudem wurde eine kommunale Sprachförderrichtlinie für Asylbewerber ohne Zugang zu den Integrationskursen mit einheitlichen gemeinsamen Lehrwerken entwickelt. Auch im Rahmen der Kompetenzfeststellung für den KiTa- und Schulzugang von neuzugewanderten Kindern und der Kompetenzermittlung für Erwachsene mittels eines interdisziplinär erstellten Fragebogens waren seine speziellen Kompetenzen sehr hilfreich. Die Koordinatoren bilden eine Brücke zwischen der Zielgruppe, der Verwaltung und Dritten und sorgen mit ihrer koordinierenden Funktion für die Vermeidung und den Abbau von Spannungen und Konflikten. Sie vermitteln mit ihrer Tätigkeit zwischen den Nationalitäten, Religionen und Kulturen und beseitigen damit Demotivation und Frustration auf allen Seiten. Sie stehen für eine Öffnung der Verwaltung und der Gesellschaft im Sinne einer gelebten Willkommenskultur, sind gleichzeitig Beispiele erfolgreicher Integration und können somit als Impulsgeber und Vorbild für die Neuzugewanderten dienen.