Eine Chance für den fachübergreifenden Dialog

Interview mit Sören Bott von der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen
Statue: Mann mit Fernrohr blickt in die Weite

Stadtentwicklung und Bildung sind im Lebensraum von Kindern und Jugendlichen untrennbar miteinander verknüpft. In der Politik jedoch auf verschiedene Ressorts verteilt. Sören Bott erläutert aus Sicht der Stadtentwicklung die Zusammenarbeit in Berlin.

Welche Chancen ergeben sich, wenn Vorhaben der Stadtentwicklung und Bildungsstrategien für Quartiere systematisch verknüpft werden?

Es gibt das schöne Sprichwort „Für die Erziehung eines Kindes braucht es ein ganzes Dorf“. Für eine Großstadt hieße das ein Quartier. Das sollte man nicht nur auf Institutionen beziehen, sondern auch auf den öffentlichen Raum und dabei die Perspektive von Kindern und Jugendlichen berücksichtigen. Was ist notwendig, um den Straßenraum auch für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen zu nutzen? Die Antwort darauf sollte nur in einem Netzwerk erfolgen: mit Partnern vor Ort, Gewerbetreibenden, sonstigen Institutionen, Einrichtungen und Vereinen aller Art. Der Autoverkehr ist so stark, dass Kinder den öffentlichen Raum unbeschwert eigentlich nicht betreten können. In einem sogenannten Elterntaxi wird ein Kind von A nach B gebracht, bleibt dort den ganzen Tag und fährt dann wieder zurück. So erfährt das Kind die Stadt in diesem Raum nur punktuell. Daraus resultiert eine verkürzte Erfahrungswelt von Kindern. Wenn sie die Stadt nur so erfahren, wäre das ein ziemlicher Perspektiveneingriff im Heranwachsen von Kindern.

Was erschwert die Zusammenarbeit von Bildung und Stadtentwicklung über Ressortgrenzen hinweg?

Das ist zum einen die Perspektive: Die Stadtentwicklung denkt räumlich, die Bildungsverwaltung denkt institutions- und individuenbezogen. Zum anderen sind es die unterschiedlichen Zuständigkeiten. Denn die Schulverwaltung ist beim Landesministerium angesiedelt bzw. bei der Senatsverwaltung, während die Zuständigkeit für den Schulbau in der Kommune liegt. Wir sprechen hier von kommunalem Bildungsmanagement: Das kommunale Schulamt muss sich einerseits mit der kommunalen Stadtplanung absprechen und andererseits mit dem Kultus bzw. Schulministerium, das in einem Flächenstaat meist gar nicht vor Ort ist. Das ist die Hauptschwierigkeit. Pädagogik auf der einen Seite und Stadtplanung auf der anderen sind zwei verschiedene Welten mit zwei verschiedenen Sprachen. Schule kommt beispielsweise in Lehrbüchern der Stadtplanung im Baubereich kaum vor, außer mit Kennzahlen vielleicht. Einen fachübergreifenden Dialog – bezogen auf alle Disziplinen wie Verwaltung, Verbände und auch Wissenschaft – gibt es selten. Da wünsche ich mir eine Renaissance. Hier kommt aber wieder etwas in Bewegung, bundesweit und auch in Berlin. Die Senatsverwaltung für Bildung hat unter Beteiligung der Stadtentwicklung die „Fachrunde Schulraumqualität“ einberufen, um Raum und Bauqualität für aktuelle und zukunftsweisende Pädagogik zu vereinbaren.

"Die Stadtentwicklung denkt räumlich, die Bildungsverwaltung denkt institutions- und individuenbezogen."

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit in Berlin? Gibt es hier gute Bespiele?

Lokale Bildungsverbünde sind im Rahmen des Städtebauförderprogramms „Soziale Stadt“ in Berlin entstanden. 2008 hat sich der Senat zudem auf die „Rahmenstrategie Soziale Stadtentwicklung“ verständigt mit Bildungsverbünden als erstes von zehn Handlungsfeldern. Berlin hat sich daraufhin verständigt, Jugendamt und Schule stärker kooperieren zu lassen. Gemeinsam mit den Bezirken bzw. mit externer Unterstützung war die Stadtentwicklung von Anfang an dabei und hat erste Pilotanwendungen gefördert. Diese Kooperation soll nun um weitere Disziplinen erweitert werden: um Stadtplanung, Gesundheit oder auch Kultur. Ein anderes Beispiel in Berlin ist das sogenannte Bonus-Programm für Schulen in sozial schwierigen Lagen und Gebieten, die eine zusätzliche Förderung für pädagogische und sozialbetreuerische Aufgaben erhalten. Die Initiative kam zwar nicht von Seiten der Verwaltung, sondern von Seiten der Politik, allerdings arbeiteten beide Häuser bei diesem politischen Auftrag sehr gut zusammen.

Wie sieht so eine Abstimmung praktisch aus?

Im Rahmen der „Sozialen Stadt“ ist der Prozess sehr partizipativ und Bottom-Up. Es haben sich vor Ort viele Partner im Bildungsverbund zusammengefunden. Durch die Bildungssenatsverwaltung entwickeln sich jetzt im Rahmen eines ergänzenden Top-Down-Prozesses konkrete Ziele, die der Bildungsverbund unterstützt. Sei es, die Abbrecherquote von Schülern oder die Schuldistanz zu vermindern.

Was ist Ihre Vision für die gemeinsame Gestaltung von Bildungsquartieren? Wie müsste die Zusammenarbeit von Bildung und Stadtentwicklung organisiert sein, damit dies gelingt? Welche Strukturen braucht es?

Für Berlin wünsche ich mir eine stärkere Orientierung an Hamburg – flächendeckend regionale Bildungskonferenzen, aufgebaut auf Strukturen der Bildungssenatsverwaltung. Allerdings in enger Zusammenarbeit mit der Stadtentwicklung.

"Man kann zwar auf Fachbereichsebene ohne die Einbindung der Politik eine Weile arbeiten, aber stößt dann schnell an Grenzen."

Wenn es gemeinsame Gremien der Zusammenarbeit im Bezirk gibt, welche Chancen ergeben sich hier für eine gemeinsame Finanzierung von Vorhaben?

Ich wünsche mir, dass die bezirklichen Fachämter Teilräume stärker gemeinsam betrachten als bisher. Ein Bezirk in Berlin hat um die 300.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Das entspricht einer Großstadt. Wir unterteilen deswegen auf der Ebene der lebensweltorientierten Räume, sogenannte Bezirksregionen, die rund 25 bis 30.000 Einwohnerinnen und Einwohner umfassen. Das ist eine Region, die es wert ist, gesondert behandelt zu werden. Auf der sich alle vor Ort Tätigen austauschen sollten: ämterübergreifend, in Kooperation von Jugendhilfe-Schule, mit Erweiterung um Gesundheit, Kultur und Stadtplanung und der Verwaltung. Und gemeinsam mit den Leiterinnen und Leitern der Institutionen bespricht man auf dieser Ebene das gemeinsame Vorgehen für diesen Raum. Darüber hinaus könnte man – wie in der „Rahmenstrategie Soziale Stadtentwicklung“ vorgesehen – einen Stadtteilkoordinator sowie einen Verfügungsfonds für die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an bestimmten öffentlichen Belangen einsetzen.

Was würden Sie anderen Kommunen raten, um die Stadtentwicklung gut in ein kommunales Bildungsmanagement einzubinden?

Kollegiale Beratung – wie sie im Rahmen der Transferagentur stattfindet – finde ich immer sehr fruchtbar, weil das hierarchiefrei und im geschützten Raum erfolgt. Es braucht strategische Vereinbarungen, die die Politik fassen sollte. Man kann zwar auf Fachbereichsebene ohne die Einbindung der Politik eine Weile arbeiten, aber stößt dann schnell an Grenzen. Es sind dicke Bretter, die hier gebohrt werden müssen. Das geht nur mit Geduld und mit einer Perspektive auf Augenhöhe sowie partnerschaftlich. Zudem sollte man immer auch Win-Win-Situationen schaffen und die Menschen, die Akteure vor Ort überzeugen, dass sie etwas davon haben, wenn sie in einem Netzwerk arbeiten. Zum Wohle der Kinder, denn darum geht es ja.

Weiterführende Links

Städtebauprogramm „Soziale Stadt“ in Berlin

Rahmenstrategie Soziale Stadtentwicklung

Das Bonus-Programm für Schulen

Dokumentation Großstadtnetzwerk in Berlin

Das Interview ist zuerst erschienen in "bewegt – Magazin für kommunale Bildungslandschaften" 1/2017, das Sie hier kostenfrei als Printausgabe bestellen können.