Nicht nur eine Strecke, die von A nach B führt – das Bildungsband Osdorfer Born

Der Osdorfer Born im Hamburger Bezirk Altona gilt gemeinhin als Brennpunktstadtteil. Die 50 Jahre alte Großsiedlung im Westen der Hansestadt hat mit den Jahren jedoch eine dicht gewebte Bildungslandschaft aufgebaut, die sich sehen lassen kann. Ihr einziges Manko: Die Einrichtungen können sich wortwörtlich gegenseitig nicht erblicken, zu verwirrend ist die Wegführung, zu hoch und dicht stehen die Pflanzen. Doch der Neubau einer Stadtteilschule warf einen Beteiligungsprozess in Gang, der aus Pfaden Verbindungen und aus versteckten Spielplätzen Orte zum Verweilen machen soll. Um das zu verwirklichen, arbeiteten Bezirk, Stiftung und Bevölkerung zusammen – unterstützt durch das studio urbane landschaften.

„Die Bäume sind viel zu hoch, sie nehmen das ganze Licht weg. Wären die weg und stünden hier Bänke, würde ich mich hier öfter aufhalten.“ Wir sind im Osdorfer Born unterwegs. Ein Hamburger Stadtteil und so genannter sozialer Brennpunkt, der für gewöhnlich nur dann Aufmerksamkeit bekommt, wenn etwas Negatives zu berichten ist. Es ist ein Dienstagnachmittag. Zwei junge Männer unterhalten sich mit Thomas Gräbel. Er und sein Team vom studio urbane landschaften haben sich am Zugang zum Bürgerhaus Bornheide postiert, der zentralste Platz der Gegend. Überall stehen leere Getränkekisten, auf einem Tapeziertisch liegen Pläne des kleinen Weges „Am Barls“ aus, der als erste Maßnahme im Rahmen des Projektes „Bildungsband Osdorfer Born“ neugestaltet werden soll.

Der Architekt und Stadtforscher Thomas Gräbel verweilt hier noch drei Stunden: „Wir sprechen die vorbeikommenden Menschen an und fragen, was ihrer Meinung nach eine Verbesserung des Weges bedeuten würde.“ Dabei können sie sich entweder zum Belag des Bodens äußern, zum Lichteinfall oder sie stellen die Kisten an die Stelle, an der sie sich eine Bank vorstellen können. Angekündigt hat die Aktion das Quartiermanagement; auch die Schulen haben ihre Kinder und Jugendlichen darauf hingewiesen. Ältere Bewohnerinnen und Bewohner des Borns gesellen sich ebenfalls dazu und beschreiben ihre Anliegen. Eigentlich hat der Stadtteil genau das, was sich die meisten Menschen einer Großstadt wünschen: Er ist grün und verfügt über viel Platz. Die kleinen Wege verlaufen abseits des Verkehrs. Doch im Osdorfer Born verwehren vor allem Büsche die Sicht auf Spielplätze, Schulen, Sportplätze und andere Bildungseinrichtungen in unmittelbarer Umgebung. Ihnen fehle zum Teil, so Thomas Gräbel, durch die hohen Bäume der Bezug zum Straßenraum. Das ist ein typisches Phänomen aller Orte im Osdorfer Born.

Den Blick fürs Wesentliche schaffen – die Bildungslandschaft Osdorfer Born

Aus diesem Grund hat der Bezirk Altona gemeinsam mit der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft einen Beteiligungs- und Entwurfsprozess angestoßen. Er soll verdeutlichen, wie vor allem die jungen Menschen ihren Stadtteil sehen, nutzen und gern nutzen würden. Das „Bildungsband Osdorfer Born“ soll zukünftig die Einrichtungen mit dem Stadtteil stärker verweben. „Denn es sollte nicht nur ein schöner Weg entstehen, der von A nach B führt“, so Thomas Gräbel. „Eine gut ausgebaute Bildungslandschaft in Bezug auf Inhalte gibt es hier bereits. Wir wollen mit dem Bildungsband die Qualität der Räume in den Blick nehmen und herausarbeiten“, erklärt Barbara Pampe, Leiterin des Projektbereichs Pädagogische Architektur der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft. „Der Prozess ist optimal gelaufen, wenn am Ende Räume und Orte entstehen, die zum Verweilen einladen, wo sich die Menschen sicher fühlen und miteinander interagieren.“ Gemeinsam mit Bildungskoordinator Adel Chabrak und Magret Heise, Anwohnerin, Leiterin des Spielhauses Bornheide und Mitglied der Borner Runde, treffen wir Pampe und Gräbel für einen Spaziergang durch den Born. Zusammen haben sie den Prozess aufgesetzt, geplant und begleitet. „Wir sind sehr gut ausgestattet mit vielen Angeboten und Einrichtungen, die der Bildung zugutekommen und die gut aufgenommen sowie genutzt werden. Doch sie sind zum Teil schwer auffindbar“, so Chabrak. Für die Vernetzung einer eigentlich optimal verknüpften Bildungslandschaft ist das eine handfeste Herausforderung.

Der Osdorfer Born

Das Gebiet bietet fast 14.000 Einwohnerinnen und Einwohnern ein Zuhause. Der Migrationsanteil beträgt ca. 62,8 Prozent. „Der Stadtteil ist bunt gemischt. Hier leben über 70 Nationen zusammen, gleichzeitig auch Alteingesessene, die seit der Entstehung hier wohnen“, so Adel Chabrak vom Bezirksamt Altona. Der Osdorfer Born feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag.

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 „Sich nur auf Wege zu beschränken, das greift zu kurz. Die Bildungseinrichtungen müssen mit der Alltagswelt von Kindern und Jugendlichen verbunden werden.“
Thomas Gräbel
studio urbane landschaften – bildung

Angefangen hat alles mit der „Phase Null“ im Jahr 2013: Die Geschwister-Scholl-Stadtteilschule sollte einen Neubau erhalten. Um diesen Prozess von Anfang bis Ende professionell durchzuplanen, bewarb sich der Bezirk 2014 beim Wettbewerb „Schule planen und bauen“ der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft – und gewann. Ein Team aus einem Architekten, einem Schulentwickler, der Schule, der Behörde für Schule und Berufsbildung, Bezirksamt, Haus der Jugend, Kindermuseum KLICK, Spielhaus Bornheide, Volkshochschule, Pro Quartier Lesenetz Hamburg, Bürgerhaus Bornheide und Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung entwickelte gemeinsam ein Konzept zur Neugestaltung der Schule. „Der Prozess war die Initialzündung für den Gedanken, dass Schule im Stadtteil gedacht werden muss“, so Thomas Fischer von der Abteilung Integrierte Stadtteilentwicklung des Bezirks. Im Zuge dessen entstand die Idee des Bildungsbandes. „Gleichzeitig standen und stehen uns durch das ‚Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung – RISE‘ bis 2021 finanzielle Ressourcen zur Verfügung, die man mit den Ergebnissen und baulichen Empfehlungen einer Studie, wie dem Bildungsband, synchronisieren kann.“

Grenzen überschreiten – Kooperation und Kommunikation im Bildungsband

Seitens der Anwohnerschaft herrschte zunächst Skepsis, war doch das Konzept des Bildungsbandes recht abstrakt. „Für das Verständnis vor Ort war die Konkretisierung, was sich eigentlich hinter dem Label ‚Bildungsband‘ verbirgt, wichtig. Das hat die Abschlussbroschüre des vom studio urbane landschaften – bildung entwickelten Beteiligungsprozesses mit konkreten Projektideen gut geleistet“, so Fischer. Auch ganz konkret äußerten sich die Sorgen über neue Vorhaben. So verweist Margret Heise, Mitglied im Beteiligungsgremium des Stadtteils Borner Runde, auf neu angelegte Wege, die die Gefahr der Verdrängung von Cliquen bergen, da diese ihren Aufenthaltsplatz verlieren könnten. „Das Bildungsband an und für sich befürwortet die Runde. Doch es braucht Transparenz und Kommunikation in alle Richtungen, um für gegenseitige Akzeptanz zu werben.“

Die Dezernate Wirtschaft, Bauen und Umwelt sowie Soziales, Jugend und Gesundheit unterschrieben eine Zustimmungserklärung, die beinhaltet, dass geplante Maßnahmen dem Bildungsband unterzuordnen sind. Fällt also ein ohnehin geplantes Bauvorhaben in das Gebiet des Bildungsbandes – beispielsweise die Neugestaltung von Wegen, die an Spielplätze oder Bildungseinrichtungen angrenzen – müssen sich die Ressorts abstimmen und gemeinsam planen. Die klassischen Zuständigkeitsgrenzen werden hier zu Gunsten der Sache überschritten. Auch wenn das ein höheres Maß an Kommunikation erfordert.

"Wir wollen mit dem Bildungsband die Qualität der Räume in den Blick nehmen und herausarbeiten."
Barbara Pampe
Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft

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Das Bürgerhaus Bornheide ist umgeben von vielen weiteren sozialen Einrichtungen
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Ein Ort nicht nur zum Shoppen: Das Born-Center ist beliebter Treffpunkt des Stadtteils.
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Von digitalen Trampelpfaden …

Der nächste Schritt rund um das Bildungsband war, herauszufinden, wo sich die Kinder und Jugendlichen im Stadtteil überhaupt aufhalten. Ausgestattet mit einer Stadtteilkarte wurden sie vom studio urbane landschaften losgeschickt mit dem Auftrag: „Zeichne die Strecke ein, die du in deinem Stadtteil oft gehst. Wo würdest Du Pause machen? Was würdest Du hier gerne tun?“ Dass Kinder und Jugendliche von Anfang an am Prozess aktiv partizipieren, das war Teil der konkreten Aufgabenstellung seitens aller Akteure.

Neben der Skizzierung von eigenen Wegen waren Stadtteilspaziergänge in Begleitung der Fachleute ebenfalls Teil des breit angelegten Beteiligungsprozesses. Daran nahmen auch Anwohnerinnen und Anwohner sowie Mitarbeitende der Bildungseinrichtungen des Borns teil. Sie erläuterten dem Studioteam, zu dem neben Thomas Gräbel Hille von Seggern und Sabine Rabe gehörten, welche Hindernisse es gibt und schilderten ihre Sicht auf ihr Umfeld und machten auf Hindernisse aufmerksam. Margret Heise war eine der Teilnehmerinnen. Die Leiterin des Spielhauses Bornheide und selbst Anwohnerin des Borns, erklärt: „Der Spielplatz ist der Dreh- und Angelpunkt für alle.“

Das zeigte auch die Auswertung der vielen Routen, die die Kinder und Jugendlichen aufgezeichnet hatten: Der Spielplatz an der Bornheide ist einer der belebtesten und meist aufgesuchten Plätze im Born – nicht nur von Kindern. Auf dem Vorplatz befinden sich Bänke, die es so vor Beginn des Prozesses nicht gab. Befestigt waren weder die Verbindungswege noch der Platz an sich. „Die Bildungseinrichtungen bieten unglaublich gute Angebote. Wir wollen, dass sie auch visuell Bezug aufeinander nehmen“, so Adel Chabrak.

… zu echten Wegen und nachhaltigen Strukturen

Im Zuge des Entwicklungsprozesses des Bildungsbandes wurde eine Fachgruppe gegründet, zu der auch das studio urbane landschaften und die Montag Stiftung gehörten und die von Adel Chabrak und Thomas Fischer geleitet wird. Die Stiftung hat das Bezirksamt inhaltlich bei der Entwicklung des Bildungsbandes sowie finanziell durch die Beauftragung von studio urbane landschaften unterstützt. Die Fachgruppe besteht aus Vertreterinnen und Vertretern der einzelnen Fachämter, wie Jugendamt, die Fachämter Sozialraummanagement, Management des öffentlichen Raumes, Stadt- und Landschaftsplanung. Die politischen Ausschüsse werden regelmäßig von den Entwicklern des Bildungsbandes informiert. So werden nicht nur fachämterspezifische Einschätzungen eingeholt, auch die politische Legitimation wird auf diesem Weg gesichert. „Neben der klassischen Arbeit in der Verwaltung, von deren Expertise wir für das Bildungsband profitieren, bedarf es aber auch immer wieder neuer experimenteller und kreativer Ansätze. Für diese Form des Querdenkens brauche ich hin und wieder ein Mandat“, so Chabrak.
 

Das Community-Center

Das Bürgerhaus Bornheide steht auf einem Gelände mit weiteren sozialen Bildungseinrichtungen: z. B. der Zirkus Abrax Kadabrax mit seinem pädagogischen Angebot, das Spielhaus Bornheide, die Kita Sonnengarten, die Großstadt Mission Jugendhilfe GmbH oder die Elternschule Osdorf. Der Bereich wurde 2013 im Rahmen der Gebietsentwicklung (RISE) durch das Bezirksamt als Community-Center errichtet.

Barbara Pampe sieht das Potenzial des Projekts darin, eine Sensibilität für ämterübergreifende Zusammenarbeit zu schaffen. Denn, so Pampe, „die Verwaltung im Allgemeinen ist nicht darauf ausgerichtet.“ Das geht mit einem hohen Aufwand einher, da die Maßnahmen und Zuständigkeiten im Born hochkomplex sind. „Ganz am Anfang des Prozesses sollte zur Übersicht ein Plan erstellt werden, auf dem alle aktuellen und geplanten baulichen Maßnahmen im Osdorfer Born dargestellt sind. Der Aufwand, die Informationen aus den unterschiedlichen Abteilungen des Bezirksamts und der Verantwortlichen vor Ort zusammenzutragen, war immens und sehr zeitintensiv“, so Pampe. Aus diesem Grund brauche es jemanden, der für die Sache brennt. Adel Chabrak und Thomas Fischer sind zwei davon. Mit ihrem Engagement haben sie schon vieles erreicht – auch über den Osdorfer Born hinaus.

Chabrak ist seit 2012 Bildungskoordinator im Bezirksamt Altona. Mit insgesamt 14 Stadtteilen ist der Bezirk einer der größten Hamburgs. Entsprechend hoch ist der Investitionsbedarf. Das Bildungsband zeigt hier bereits Wirkung, erläutert Chabrak: „Viele Maßnahmen, die wir im Osdorfer Born geplant haben, sind auf der Prioritätenliste des Bezirksamtes nach oben gerutscht.“ Diese Priorisierung der Maßnahmen sind neben der konzeptionellen Klammer des Bildungsbandes vor allem der Einbettung in die RISE-Gebietsentwicklung und der damit verbundenen Fördermöglichkeiten, wie zum Beispiel die „Soziale Stadt“, geschuldet. Dafür mussten die Fachämter aus einem Sprachrohr sprechen. Das war wohl die größte Herausforderung seitens der Verwaltung. Jedoch stand die Amtsspitze in Person von Dr. Liane Melzer als Leiterin des Bezirksamts von Beginn an hinter dem Projekt.

Die Zielgruppe im Blick

Der Stadtteil ist grundsätzlich in Partizipation geübt: Einmal im Monat treffen sich bei der Stadtteilkonferenz die Vertretungen aller Einrichtungen. Zudem gibt es die Borner Runde, ein Beteiligungsgremium von Bürgerinnen und Bürgern, das sogar über finanzielle Investitionen im Stadtteil entscheiden darf. Margret Heise ist Mitglied der Runde: „Es ist trotz der niedrigschwelligen Möglichkeit, an solchen Prozessen teilzunehmen, immer wieder kritisch darauf zu achten, wer sich tatsächlich beteiligt und wie bestimmte Gremien besetzt sind. Das hat einen direkten Einfluss auf die Entscheidung. Die Runde ist zum Beispiel mit eher älteren Menschen besetzt, da müssen wir versuchen, uns ein bisschen zu verjüngen, um die Repräsentativität zu wahren.“ Und die Macher von Beteiligungsprozessen müssten dorthin gehen, wo „die Zielgruppen, die man erreichen möchte, sowieso sind: z. B. im Mutter-Kind-Haus oder im Haus der Jugend.“

Thomas Gräbel bestätigt: „Die Intention eines Beteiligungsverfahrens ist, Änderungen im Sinne der Beteiligten zu vollziehen. Im allerbesten Sinne bedeutet das eine Verbesserung.“ Doch man dürfe ein Gebiet und seine Kinder und Jugendlichen nicht „überbeteiligen“: „Es muss nach Ende einer Beteiligungsaktion tatsächlich etwas passieren.“

Abstecher: Das Born-Center und das KLICK Kindermuseum

Wie weit Sichtbarkeit, Erreichbarkeit und Frequentierung innerhalb des Sozialraums auseinanderliegen können, das zeigt ein weiterer Gang Richtung Born-Center. Um es zu erreichen, muss zunächst eine zweispurige Straße überquert werden. Die ehemals offene Ladenpassage bietet allen Anwohnerinnen und Anwohnern Einkaufsmöglichkeiten. Für die Kinder und Jugendlichen dient es – neben dem Spielplatz gegenüber – als zentraler Treffpunkt. Ein lebendiger Ort. Schlängelt man sich durch das Center, kommt man vorbei an der Bücherhalle und erreicht schließlich das KLICK Kindermuseum. Was so anmutet wie ein Geheimweg, ist der Haupteingang des Museums, das über Hamburgs Grenzen hinaus bekannt und sehr beliebt ist.

Das KLICK Kindermuseum, dessen Zugang durch das Born-Center erreicht wird.
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Barbara Pampe, Margret Heise und Thomas Gräbel (v.l.)
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Der Stadtspaziergang durch den Osdorfern Born ist zuerst erschienen in "bewegt – Magazin für kommunale Bildungslandschaften" 2/2017, das Sie hier kostenfrei als Printausgabe bestellen können.