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Unter Dach und Fach

In der Jugendberufsagentur Bremen-Bremerhaven regelt sich vieles auf kurzem Dienstweg

Die Jugendberufsagentur Bremen-Bremerhaven unterstützt Jugendliche unter 25 Jahren dabei, die Schule abzuschließen, einen Ausbildungsplatz zu finden, den Einstieg ins Berufsleben zu meistern. Kurz: Sie bietet jungen Menschen Orientierung. Dabei steckt die Agentur selbst noch in den Kinderschuhen. Erst im Mai 2015 startete ein gewaltiger Organisationsentwicklungsprozess. Bei einem Besuch des Standorts Bremerhaven erfuhren wir, was sich seitdem geändert hat.

#LäuftBeiDir – wenn auch nicht ohne Hürden

Ein großer Meilenstein war im Jahr 2015 schon getan: Das Konzept für die Jugendberufsagentur Bremen-Bremerhaven stand fest. Darauf hatten sich Verwaltung, Politik und Wirtschaft geeinigt: die Agentur für Arbeit Bremen-Bremerhaven, das Jobcenter Bremen, das Jobcenter Bremerhaven, der Magistrat der Stadt Bremerhaven, die Senatorin für Kinder und Bildung, die Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport sowie der Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen.
Dann galt es zu überzeugen: die Mitarbeitenden der verschiedenen Häuser, die Personalräte, die Öffentlichkeit. Elf Arbeitsgruppen erarbeiteten Vorschläge zu verschiedenen Themen, wie Datenschutz, Kennziffern, Marketing, Zusammenarbeit, Räumlichkeiten, Planung der Lenkungsgruppe.

Swantje Hüsken und ein weiterer Kollege vom Magistrat der Stadt Bremerhaven planen und koordinieren die Abläufe und die Zusammenarbeit in der Jugendberufsagentur Bremerhaven. Keine einfache Aufgabe, wenn drei verschiedene Rechtskreise beteiligt sind. Denn jeder Rechtskreis folgte bis dahin ausschließlich seiner eigenen Logik. Als Beispiel nennt Hüsken den Umgang mit Sanktionen: Hat ein Jugendlicher eine Maßnahme versäumt, streiche das Jobcenter die Gelder. Die Berufsberatung kann Kunden sogar abmelden. Bei den Schulen wiederum habe jede einzelne ihre eigene Kultur. Und dennoch konnten sich alle Häuser einigen. In einer gemeinsamen Verwaltungsvereinbarung steht: „Wir wollen möglichst sanktionsfrei arbeiten!“ Ein kurzer Satz, mit großer Bedeutung. Denn er zeigt, dass alle Rechtskreise zusammenarbeiten wollen, aber dass eine solche Kooperation nicht ohne Kompromisse auskommt.

Vor allem intern hat sich viel verändert. Seit dem Startschuss haben nach und nach alle Beratungsstellen gemeinsam ein Haus bezogen. Das hat den Vorteil, dass Jugendliche, die die Jugendberufsagentur Bremerhaven aufsuchen, nur kurze Wege gehen müssen. Mit den Dienstwegen haben sich auch die Arbeitsabläufe geändert, was wiederum viele Fragen aufwarf.

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Swantje Hüsken
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Die Wege sind vielseitig, aber kurz in der Jugendberufsagentur Bremen-Bremerhaven.
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„Mit der Gründung einer Jugendberufsagentur haben Sie noch lange keine Jugendberufsagentur. Sie müssen auf den verschiedensten Ebenen arbeiten.“
Ina Mausolf, Referentin bei der Senatorin für Kinder und Bildung der Freien Hansestadt Bremen

Rechtskreise, die bisher fast völlig unabhängig voneinander arbeiteten, treffen aufeinander. Sie müssen nicht nur ihre eigenen Arbeitsabläufe und kulturen miteinander finden, sondern sind gleichzeitig den Zielen, Verpflichtungen und gesetzlichen Vorgaben der jeweiligen Institution verpflichtet. Während die Angestellten der Kommune, wie z. B. die Aufsuchende Beratung, relativ frei sind in ihren Entscheidungen, ist die Berufsberatung der Arbeitsagentur eher hierarchisch organisiert. Mitarbeitende des Jobcenters wiederum sind an das Sozialgesetzbuch (SGB II) gebunden. Im Team musste daher zunächst Schritt für Schritt ausgehandelt werden, was in wessen Verantwortung liegt und wer welchen Handlungsspielraum hat. Gegenseitige Hospitationen in den verschiedenen Bereichen helfen, sich in die Perspektive des anderen zu versetzen. „Es tut uns sehr gut, mehr voneinander zu hören und ein Verständnis füreinander zu entwickeln“, so Mausolf. Bremen und Bremerhaven vollziehen einen internen Organisationsentwicklungsprozess, der viel Zeit und Geduld in Anspruch nimmt und parallel zum Tagesgeschäft abläuft.

Für Swantje Hüsken ist es – trotz der Herausforderung, alle unter einen Hut oder wie in diesem Fall unter ein Dach zu bringen – ein Traumjob: „Ich kann hier viele Erfahrungen zum Einsatz bringen, die ich in meinen Jobs zuvor gesammelt habe. Momentan könnte ich mir keinen anderen vorstellen, bei dem ich die Gelegenheit habe, mir so viele andere Bereiche anzueignen.“ Herzlich und dynamisch führt uns die Koordinatorin durch das mehrstöckige Gebäude der Jugendberufsagentur, das sich in unmittelbarer Hafennähe befindet. Swantje Hüsken versprüht das, was die Akteure der Jugendberufsagentur auch Jugendlichen mitgeben möchten: Mut zu Handeln! Im Mittelpunkt der Arbeit steht hier der Mensch mit seinem individuellen Anliegen.
 

Viele Rechtskreise, viele verschiedene Ziele:

  1. Agentur für Arbeit: möglichst viele Bewerberinnen und Bewerber zu beraten und dazu möglichst viele Ausbildungsplätze gemeldet zu bekommen, damit die Vermittlung klappt
  2. Kammern: die jungen Menschen für duale Ausbildung zu interessieren, nicht nur für Studiengänge
  3. Jobcenter: die jungen Menschen nachhaltig aus dem Leistungsbezug zu bringen

Die Jugendberufsagentur bringt diese Ziele unter einen Hut.

#DaGehtWas – und zwar gemeinsam mehr

Die Bundesregierung hat es jüngst bestätigt: Bremerhaven gehört zu den so genannten abgehängten Regionen Deutschlands. Grund hierfür ist nicht zuletzt die hohe Arbeitslosenquote und der Mangel an Ausbildungsplätzen. Herausforderungen, denen sich die Akteure auf dem Ausbildungsmarkt seit vielen Jahren gemeinsam im Rahmen der „Bremer Vereinbarungen“ stellen, einer mit dem nationalen Pakt für Ausbildung und Führungskräftenachwuchs vergleichbaren Kooperation auf regionaler Ebene.

„Die Jugendberufsagentur ist eine wesentlich verbindlichere Art der Zusammenarbeit als ein Ausbildungspakt.“
Ina Mausolf

Hier arbeiten alle gemeinsam an den gleichen Zielen, bei denen die individuellen Bedürfnisse der Jugendlichen im Vordergrund stehen: Jede Jugendliche und jeder Jugendlicher soll eine Chance auf einen Ausbildungsplatz erhalten. Dazu werden die Beratungs- und Unterstützungsangebote unter einem Dach gebündelt.
Möglich ist das, weil das Konzept der Jugendberufsagentur den Rückhalt von ganz oben hat: Politik, Verwaltung und Wirtschaft unterstützen das Vorhaben. Damit das so bleibt, treffen sich die Partnerinnen und Partner nicht nur im Rahmen von Arbeitsgruppen zu unterschiedlichen Themen, sondern ein Mal im Monat auch alle gemeinsam. In der Planungs- und Koordinierungsgruppe werden zum Beispiel die Maßnahmenportfolios aller Beteiligten beraten. Die Hausspitzen kommen im Lenkungsausschuss zusammen, um gemeinsame Ziele zu formulieren und Strategien zu vereinbaren. Auch auf dieser Ebene ist ein Verständigungsprozess notwendig, um jedem Rechtskreis gerecht zu werden. Dass es möglich ist, rechtskreisübergreifend zu kooperieren, zeigen nicht nur die Ergebnisse: 1.754 junge Menschen hat die Jugendberufsagentur in Bremerhaven im Zeitraum Mai 2015 bis Ende 2016 empfangen und zu ihren individuellen Fragen beraten. Auch Projekte, wie die Nachvermittlungsaktionen in Bremerhaven und Bremen, machen deutlich, dass das Modell Erfolg haben kann.

Nachvermittlungsaktionen:

Im September wird analysiert, welche Schülerinnen und Schüler keinen Ausbildungsplatz haben und wie viele freie Ausbildungsplätze in wel-chen Berufszweigen gleichzeitig noch offen sind. Anschließend bringt man die Kammern mit den Jugendlichen an zwei Nachmittagen zusammen. Diese Aktion wurde mittlerweile ausgeweitet: Auch Jugendliche aus den einjährigen berufsvorbereitenden Berufsfachschulen werden von der Senatorin für Kinder und Bildung verpflichtend zu einem Informationstag eingeladen. Sie sollen sich über die Zeit nach der einjährigen Berufsvorbereitung Gedanken machen. „Ohne die Partner kann ein solcher Tag nicht erfolgreich sein“, so Mausolf.

„Ich halte die Jugendberufsagenturen für den richtigen Weg. Aber klar ist auch: Wir sind noch in der Organisationsentwicklung“, erklärt Mausolf. Dazu gehört, dass das Team der Jugendberufsagentur Bremerhaven sich und seine Arbeit reflektiert. Hier ist nichts in Stein gemeißelt. Im Gegenteil, es ist ein ständiger Lernprozess. „Wir haben beispielsweise bemerkt, dass viele junge Menschen in Begleitung ihrer Mütter, Väter oder sogar Großeltern kommen. Die brauchen aber eine ganz andere Beratung als ihre Kinder. Da müssen wir neue Angebote stricken“, erklärt Swantje Hüsken, als wir unseren Rundgang durch die Jugendberufsagentur Bremerhaven fortsetzen. Kirstin Zalewski sitzt am Empfang des Hauses inmitten von Computerterminals für die Jugendlichen. Es ist das erste von vielen freundlichen Gesichtern, auf das man trifft, wenn man das Gebäude betritt. „Behörden haben ja ihren Ruf. Hier versuchen wir, die Angst zu nehmen durch eine aktive Willkommenskultur.“ Lobend hebt sie die Mitarbeitenden der Aufsuchenden Beratung hervor: „Die sind für das Zwischenmenschliche ganz wichtig!“ Denn nicht selten komme es vor, dass sie sich mit ihren jungen Klientinnen und Klienten direkt an einen PC der Jugendberufsagentur setzen, um die Bewerbung gemeinsam zu verfassen.

Der Empfang funktioniert wie eine Notaufnahme. Hier werden die Jugendlichen direkt an die zuständigen Kolleginnen und Kollegen weitergeleitet – ohne lange Schlangen und Wartenummern werden sie zügig beraten. So auch im Backoffice des Jobcenterteams. Eigentlich befindet sich das Jobcenter im benachbarten Stadtteil. In der Jugendberufsagentur am Standort Bremerhaven beraten A. Wethje und ihre sechs Kolleginnen und Kollegen Jugendliche unter 25 Jahren jedoch direkt, unkompliziert, exklusiv. Egal mit welcher Frage junge Menschen hierherkommen, sie erhalten immer eine Antwort. Selbst, wenn die Jugendberufsagentur faktisch nicht zuständig ist, da zum Beispiel das Alter von 25 Jahren überschritten ist.

So unterschiedlich die Menschen, die hierherkommen, so verschieden sind auch die Wege, auf denen sie zur Jugendberufsagentur gelangen.

  1. Lehrer empfiehlt, die Berufsberatung aufzusuchen (Teil der JBA, Rechtskreis der Agentur für Arbeit), danach geht’s zum Arbeitgeberservice und in die Ausbildung
  2. Kinder und Jugendliche aus sozial schwachem Familienumfeld sind bereits beim Jobcenter über die Bedarfsgemeinschaft der Eltern erfasst (Partner der JBA)
  3. Zentrale Berufsberatung: Lehrkräfte werden freigestellt, die beratend tätig sind, um den Übergang von der Schule in die Ausbildung zu verbessern
  4. Aufsuchende Beratung des Arbeitsressorts bzw. der Kommune: Übergang Schule-Ausbildung war nicht erfolgreich; Kollegen der Jugendberufsagentur nehmen Fälle von Jobcenter oder Agentur für Arbeit an und entscheiden, mit welchen Kolleginnen und Kollegen Kontakt aufgenommen werden sollte, um Hilfestellungen und Maßnahmen anzubieten

Nur einige Schritte weiter treffen wir Alana Thiehoff und Sarah Forster in ihrem Büro. Die beiden jungen Frauen sind ebenfalls beim Jobcenter Bremerhaven im Team Arbeitsvermittlung U 25 angestellt. Im Jobcenter tauchen die Jugendlichen auf, wenn sie 15 Jahre werden und ihre Eltern bereits Leistungen vom Staat bezogen haben. In Bremerhaven sind das nicht wenige. Laut Swantje Hüsken lebten im vergangenen Schuljahr von insgesamt knapp 1.000 Schülerinnen und Schülern der achten Klasse 400 in Bedarfsgemeinschaften. Das heißt, ihre Eltern bezogen beispielsweise Arbeitslosengeld. Sie sind, so Forster und Thiehoff, die zukünftigen „Kunden“ der Jugendberufsagentur. Denn viele dieser jungen Menschen sind in Familien aufgewachsen, in denen über mehrere Generationen hinweg nicht gearbeitet wurde und die schlicht nicht wissen, welche Berufe es überhaupt gibt. Die Einstellung gegenüber der Arbeit sei nicht immer positiv, so Hüsken. Sobald die Kinder 15 Jahre alt werden, müssen die Eltern Schulbescheinigungen nachweisen. „An diesen Stellen sind die kurzen Dienstwege klasse. Denn ich kann einfach rübergehen und fragen: ‚Swantje, warum dauert das denn so lange mit der Schulbescheinigung?` Denn sie hat den direkten Kontakt zur Schule.“ Alana Thiehoff ist eine derjenigen, die es nur so kennen. „Das ist für uns natürlich eine Chance, Veränderungen weiter voranzubringen“, betont Hüsken. „Aber die Kolleginnen und Kollegen brauchen Strukturen, auf die sie sich verlassen können.“

#DuSchaffstDas – auch wenn es ungewohnt ist

Weiter geht es in das Büro gegenüber zu Miriam Sindt und Robert Schröder von der Aufsuchenden Beratung. Die beiden sind angesiedelt beim Dezernat für Jugend, Arbeit und Soziales des Magistrats der Stadt Bremerhaven und an keinen Rechtskreis angebunden.

„Wir können und dürfen überall reinfunken.“
Miriam Sindt, Aufsuchende Beratung

Ihr Auftrag ist es, Menschen zwischen 18 und 25 Jahren die Rückkehr ins System zu erleichtern. Sindt und Schröder arbeiten direkt mit den Jugendlichen zusammen. Meist sind es die schwierigen Fälle, die sie begleiten und mit denen sie gemeinsam um eine Lösung ringen. Weil die klassische Aufsuchende Beratung zu zweit stattfindet, sieht man Sindt und Schröder – auch genannt Batman und Robin in wechselnder Besetzung – meist im Doppelpack. „Das war am Anfang etwas ungewohnt für die Kollegen. Auch, weil wir oft mit unserer Wunschliste vorbeikommen und durch die pädagogische Brille gucken. Das ist aber unser Job.“ Dass das überhaupt möglich ist, ist der Umstrukturierung zu verdanken. Wenn es auch ein mühseliger Weg war, dessen Ende zwar abzusehen, aber noch weit in der Zukunft liegt, hat man hier in Bremerhaven schon viel geschafft. Und das geht weit darüber hinaus, dass in der Jugendberufsagentur verschiedene Rechtskreise unter einem Dach sitzen.

Hier geht es zur Homepage der Jugendberufsagentur Bremen-Bremerhaven

Hier gelangen Sie zur Senatorin für Kinder und Bildung der Freien Hansestadt Bremen

Miriam Sindt und Robert Schröder, auch genannt Batman und Robin von der Aufsuchenden Beratung.
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Sarah Forster und Alana Thiehoff vom Jobcenter.
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A. Wethje arbeitet im Backoffice des Jobcenters.
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Der Eingangsbereich der Jugendberufsagentur Bremen-Bremerhaven.
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Nicht selten komme es vor, dass sich Mitarbeitende der Aufsuchenden Beratung mit ihren jungen Klientinnen und Klienten direkt an einen PC der Jugendberufsagentur setzen, um die Bewerbung gemeinsam zu verfassen.
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Der Stadtspaziergang durch die Jugendberufsagentur ist zuerst erschienen in "bewegt – Magazin für kommunale Bildungslandschaften" 1/2017, das Sie hier kostenfrei als Printausgabe bestellen können.