
Die Stadt Aachen hat sich mit anderen Kommunen der Region zusammengetan und eine StädteRegion gegründet. Im Interview erklärt Wolfgang Rombey, ehemaliger Stadtdirektor für Bildung, Kultur, Schule und Jugend der Stadt Aachen, weshalb und wie das funktioniert.
Warum ist es von Vorteil, eine regionale Bildungslandschaft aufzubauen?
In Aachen entstand der Regionsgedanke unabhängig von der Bildung. Er kam in erster Linie auf, um die Wirtschaftskraft zu stärken und einen attraktiven Wirtschafts- und Lebensraum zu schaffen. Wenn man über Lebensraum spricht, muss man Bildung an erste Stelle setzen. Wo fragen Eltern nach Betreuungsangeboten, guten Schulen, Ausbildungsplätzen für ihre Kinder und die Wirtschaft nach qualifizierten Schulabsolventen? In der Kommune. Hier entscheiden sich Erfolg oder Misserfolg von Bildung. Die Kommunen tragen die Soziallasten, wenn Bildung scheitert. Deswegen ist es ihr ureigenes Interesse, Bildung mitzugestalten. Das geht nur, wenn dafür Strukturen wie Bildungskonferenz, Lenkungsgruppe und Bildungsbüro geschaffen werden. Dies wiederum überfordert oftmals kleinere Kommunen. Ein komplexes Gebilde wie eine Bildungslandschaft oder Bildungsteuerung erfordert hauptamtliches Personal und andere Ressourcen.
Aber als Stadt hätten Sie das doch sicher auch allein geschafft?
Viele Kritiker und Skeptiker haben gesagt, dass das sogar viel einfacher gewesen wäre als die ständige Abstimmerei mit zehn Kommunen. Die Großen könnten das alleine, doch die Kleinen fielen hinten rüber. Der Gedanke der StädteRegion war, die ganze Region in den Blick zu nehmen und so das Potenzial von 540.000 Einwohnerinnen und Einwohnern zu bündeln. Auch die Parkstadt Limburg auf holländischer Seite hat sich mit Kommunen zusammengeschlossen, um gemeinsame Kultur und Wirtschaftspolitik zu betreiben. Gemeinsam ist man nun einmal stärker. Außerdem wohnen viele, die in Aachen arbeiten, im Umfeld der Stadt. Es ist also ein gegenseitiges Geben und Nehmen.
Welche besonderen Herausforderungen gab bzw. gibt es?
Nach herkömmlichem Verständnis basiert Verwaltungshandeln auf politischen Beschlüssen. Politik vor Ort hat oftmals den Anspruch, alles unter Kontrolle zu haben und gleichzeitig alles selbst zu gestalten. Netzwerke aus staatlichen, kommunalen und zivilgesellschaftlichen Akteuren entwickeln im Rahmen der Arbeitsgruppen der Bildungslandschaft außerhalb der politischen Gremien Ideen und Maßnahmen und setzen Impulse. Der Paradigmenwechsel in der Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft, der sich von der Government-Steuerung hin zur Steuerung mittels Governance-Netzwerken ausdrückt, setzt voraus, dass Verwaltungsspitze und Politik diesen Freiraum gewähren. Hier ist viel Kommunikation, Transparenz und Beteiligung politischer Gremien notwendig. Es ist sinnvoll, regelmäßig den zuständigen Ratsgremien zu berichten und die Meilensteine im Rat beschließen zu lassen. Auch innerhalb der Kommunalverwaltung wäre es sinnvoll, die Strukturen der Bildungsverantwortung auf den Ansatz des ganzheitlichen Bildungsverständnisses auszurichten, in dem die Bereiche Schule und Jugend sowie ggf. Kultur in einem Dezernat gebündelt werden.
Im Zuge der demografischen Entwicklung fällt es kleineren Kommunen immer schwerer, Bildungsvielfalt vorzuhalten. Vor diesem Hintergrund wurde die Idee der kommunalen Bildungslandschaft, die der Deutsche Städtetag 2007 auf seinem Bildungskongress in Aachen vorgestellt hat, auch auf ländliche Regionen übertragen.
In Aachen ging diese Entwicklung einher mit der Gründung der StädteRegion Aachen: ein Gemeindeverband besonderer Art, der aus der kreisfreien Stadt Aachen und den neun kreisangehörigen Kommunen des ehemaligen Kreises Aachen besteht. In der Städte- und Bildungsregion leben rund 540.000 Menschen auf 700 Quadratkilometern, wobei allein die Stadt Aachen 240.000 Einwohner zählt. Ziel ist es, den Lebensraum Aachen zukunftsfähig zu gestalten und für den Wettbewerb der europäischen Regionen zu rüsten. Die StädteRegion bündelt die Kräfte der Kommunen und steht für Fortschritt und wirtschaftliches Wachstum. Ihr Motto lautet: Attraktive Region – Nachhaltige Region – Bildungsregion – Soziale Region. Vor diesem Hintergrund wurden die Aufgaben aus den Bereichen Jugend und Bildung, Soziales, Ordnungs- und Ausländerwesen, Gesundheitswesen und Daseinsvorsorge auf die Verwaltung der StädteRegion übertragen.
Was änderte sich durch „Lernen vor Ort“?
Vor „Lernen vor Ort“ sind die Bildungsprojekte, die von Stiftungen oder dem Land ausgelobt wurden, nach dem Zufallsprinzip zustande gekommen: je nachdem, welche Kommune sich beworben und den Zuschlag bekommen hat. Das Projekt, das meist nur auf drei Jahre beschränkt war, zog man durch. Nach den drei Jahren versickerte es. Durch die Bildungssteuerung vor Ort und durch die Schaffung von Strukturen und Gremien werden die Leuchttürme weitergeführt. Sie werden koordiniert und aufeinander bezogen. Auf die unterschiedlichen Projekte wird genauer geschaut: Passt das Projekt in unsere Philosophie hinein oder handelt es sich um eines, auf das man verzichten kann? Durch verschiedene Veranstaltungsformate und Netzwerktreffen wie Bildungstage, Fachtage, Workshops, Konferenzen und Zukunftsforen werden jährlich weit über 1.000 Bildungsakteure aus allen zehn Kommunen der StädteRegion erreicht. Die Bildungsregion lebt von der Basis. Inzwischen hat auch die Politik den Mehrwert der Arbeit der Bildungsregion anerkannt. Auch nach Auslaufen des Programms „Lernen vor Ort“ sind weiterhin 12,4 Stellen im Bildungsbüro besetzt. Die Arbeitsbereiche erstrecken sich entlang der Bildungskette von der Kita bis zur Ausbildung und Studium.
Wie sieht es mit der Wirkung bei der Zielgruppe aus?
Was ist geblieben? Im Rahmen einer landesweiten Evaluation der Bildungsnetzwerke NRW hat die Bildungsregion Aachen sehr gute Ergebnisse erzielt. Eine Wirkungsanalyse ist schwierig, wird aber immer wieder von der Politik oder den Kämmerern angefragt. Meine Antwort: So schnell wie sich Gesellschaft verändert und neue Probleme aufsteigen, ist die Wirkung nicht unbedingt messbar. Dennoch haben wir durch die Evaluation, die das Land NRW für alle Bildungsregionen durchgeführt hat, festgestellt, dass es bei der Basis ankommt. Das sind zuerst einmal die Lehrerinnen und Lehrer sowie Erzieherinnen und Erzieher. Das Weitere wird über Bildungsberichte erhoben, in denen man gezielt an den Zahlen ablesen kann, ob und in welcher Zielgruppe sich etwas verbessert hat.
Was sind aus Ihrer Sicht die Erfolgsfaktoren einer Bildungslandschaft?
Eine Bildungslandschaft benötigt ein strategisches Dach, ein Leitbild oder zumindest starke Ziele sowie ein professionelles Bildungsmanagement (Bildungskonferenz, Lenkungskreis, Bildungsbüro). Zweckmäßig erscheint mir auch eine verlässliche Ressourcenvereinbarung unter den beteiligten Akteuren abzuschließen und verbindliche Handlungsfelder festzulegen. Wer steuern will, braucht Zahlen. Von daher ist eine kontinuierliche Bildungsberichterstattung sinnvoll. Die Bündelung der Kräfte setzt eine Kooperation auf Augenhöhe voraus, die zum Ziel hat, das Denken in Zuständigkeiten zu überwinden und als Verantwortungsgemeinschaft zu handeln.
94% der Befragten gaben an, über die Ziele gut informiert zu sein. Bei den Handlungsfeldern waren es 86%. 85% der Befragten sind sehr motiviert, im Netzwerk mitzuarbeiten. 76% gaben an, dass sich die Bedingungen in der Kommune zur Umsetzung von Maßnahmen durch das Bildungsnetzwerk verbessert haben und 85% stimmten zu, dass der Stellenwert von Bildung in der lokalen Politik gestiegen ist.
Nehmen wir an, eine andere Stadt möchte es der Region Aachen gleichtun: Was raten Sie den Akteuren?
Für den Aufbau einer kommunalen Bildungslandschaft gibt es noch keine rechtlichen Rahmenbedingungen oder allgemein gültige Regeln. Das Konstrukt der Bildungslandschaft basiert auf dem freiwilligen Zusammenwirken verschiedener Akteure mit unterschiedlichen Kompetenzen und Zuständigkeiten. Kooperation erfordert somit den eindeutigen Willen der Akteure und der Politik, auf Augenhöhe gemeinsam Verantwortung zu übernehmen.
So ein Prozess ist sehr stark von Personen abhängig. Wichtig erscheint mir, dass der politische Wille, Bildungssteuerung vor Ort zu gestalten, eindeutig vorhanden ist und der Bürgermeister oder Landrat und die Politik sich an die Spitze der Bewegung setzen. Nur mit dieser Autorität und der politischen Rückendeckung kann der schwierige Weg des Paradigmenwechsels erfolgreich zurückgelegt werden. Und vor allem müssen Strukturen entwickelt werden, damit dies weiterlebt.
Oktober 2007: Ratsbeschluss der Stadt Aachen zur Errichtung eines Bildungsbüros
April 2008: Verabschiedung einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung zur Errichtung eines gemeinsamen Bildungsbüros mit der StädteRegion
Januar 2009: Abschluss eines Kooperationsvertrags mit dem Land Nordrhein-Westfalen
Juni 2009: Förderzusage des Bundesprogramms „Lernen vor Ort“
Oktober 2009: Bildungsbüro der StädteRegion Aachen kann seine Arbeit aufnehmen
2014: Ende der Förderung „Lernen vor Ort
Kontinuierliche Weiterentwicklung des regionalen Bildungsnetzwerks durch: Bildungsbüro, Lenkungskreis, Bildungskonferenz
Das Interview mit Wolfgang Rombey ist zuerst erschienen in "bewegt – Magazin für kommunale Bildungslandschaften" 1/2017, das Sie hier kostenfrei als Printausgabe bestellen können.