
Der Bremer Stadtteil Gröpelingen hat Probleme – aber auch eine Bildungslandschaft, die sich sehen lassen kann. Viele einzelne Kooperationen und Projekte haben sich zu einem einzigartigen Bildungsnetzwerk zusammengetan, innerhalb dessen die Stadtteileinrichtungen ihre Angebote kreativ und strukturiert aufeinander abstimmen.
Gröpelingen ist das internationalste Quartier in Bremen. Zuwanderer aus mehr als 120 Nationen prägen den Stadtteil, mehr als 70 Sprachen werden hier gesprochen; Arbeitsmigranten und Flüchtlinge aus aller Welt kommen im Stadtteil an. Sie finden Strukturen vor, an die sie schnell und unkompliziert anknüpfen können – ein typisches Ankunftsquartier. Doch Gröpelingen hat auch zu kämpfen: In den 80er Jahren schloss die Werft, die den bis dahin stolzen Arbeiterstadtteil prägte. Der tiefgreifende Strukturwandel hat das Quartier radikal verändert und zu erheblichen sozialen Schieflagen geführt. Besonders hart trifft es die Kinder und Jugendlichen im Stadtteil: Über die Hälfte aller unter 18-Jährigen lebt von Sozialleistungen; die Jugendarbeitslosigkeit ist fast doppelt so hoch wie im restlichen Bremen. Nur 19 Prozent der Gröpelinger Schüler machen Abitur – im Bremer Schnitt sind es fast doppelt so viele.
„... ein Sorgenkind, aber ein sehr talentiertes: Der Stadtteil ist heterogen, interkulturell und hochdynamisch. Das ist auch eine Begabung.“
Iris Reuther, Senatsbaudirektorin
Diese Begabung zu fördern, ist das erklärte Ziel der Gröpelinger Bildungslandschaft. Bildung soll der Hebel sein, um die Potenziale des Stadtteils und seiner heterogenen Bevölkerung systematisch zu nutzen und zu entwickeln – und so auf lange Sicht die sozialen Probleme vor Ort auszugleichen.
Die Bibliothek – ein Treffpunkt für den Stadtteil
Wenn es richtig wimmelt, fühlt sich Andreas Gebauer in der Bibliothek am wohlsten. „Wir sind da, um offen zu sein“, sagt er mit Nachdruck. Der Leiter der Stadtteilbibliotehk hat soeben die zweite Grundschulklasse an diesem Tag verabschiedet, die fröhlich schnatternd davonzieht. Gebauer wirkt nicht wie ein typischer Bibliothekar – und er betreibt auch keine typische Bibliothek. Seine Zweigstelle ist ein Treffpunkt für den Stadtteil. Der luftige Bau öffnet sich über große Fensterfronten in die Umgebung; auf den ersten Blick sind erstaunlich wenige Bücher zu sehen. Rund 300 Veranstaltungen im Jahr finden in der Bücherei statt: die Lesereihe „Grünes Sofa“ und das „Bilderbuchkino“; hier treffen sich die „Plattschnacker“ und der türkische Elternverein, und auch die Integrationskurse der Volkshochschule kommen regelmäßig in die Bibliothek. Der größte Anteil der Gröpelinger Bibliotheksbesucher sind Kinder und Jugendliche. Rund 70 Prozent aller Ausleihen gehen auf das Konto der Schülerinnen und Schüler, fast alle besitzen einen aktiv genutzten Bibliotheksausweis. „Keine Karteileichen“, betont Andreas Gebauer. Die Kooperation der Bibliothek mit den umliegenden Schulen ist exzellent: Alle vier bis sechs Wochen kommt jeder Gröpelinger Schüler mit seiner Schulklasse in die Bibliothek. „So üben sich Routinen ein. Die Kinder verlieren die Angst und lernen, was man in einer Bibliothek tun kann“, erklärt Gebauer. Auch Kita-Gruppen aus dem Stadtteil haben die Bücherei als Ausflugsziel entdeckt. Die Kinder lieben es, in den Hängematten und einem Lese-Boot im Erdgeschoss herumzulümmeln. „Die kommen, weil es hier gemütlich ist“, sagt Andreas Gebauer. „Das finde ich gut so.“
„Wir sind da, um offen zu sein.“
Andreas Gebauer, Leiter der Stadtteilbibliothek
Die Stadtteilbibliothek ist Drehscheibe für eine Vielzahl an Kooperationsprojekten. Die „Gröpelinger Buchwerkstatt“, entwickelt vom Verein Kultur Vor Ort, ist eines davon. Kinder der dritten und vierten Klassen schreiben im Rahmen dieses Projekts selbst Geschichten, illustrieren sie im nahegelegenen Kinder- und Jugendatelier mit eigenen Kaltnadelradierungen und binden ihr Werk zu kunstvollen Büchern. Die Protagonisten ihrer Geschichten fertigen sie als lebensgroße Pappmachéfiguren an. In der Buchwerkstatt geht es nicht nur darum, Texte zu produzieren und Lese- und Schreibkompetenzen zu fördern. Dieses Projekt macht deutlich, was eine Bildungslandschaft ist und kann: Die Kinder arbeiten im Kunstatelier, in der Bibliothek präsentieren sie öffentlich ihre Werke, anschließend arbeiten sie mit ihren Büchern im Schulunterricht weiter. Immer wieder treffen so Bibliothekspersonal, Kunstpädagogen, Eltern, Lehrer und Kinder aufeinander.







Lokales Bildungsmanagement in Gröpelingen
Kultur Vor Ort – Stadtteilentwicklung durch Bildung
Handlungsfelder, Fachlichkeiten und Perspektiven zu verknüpfen und aus der Vielfalt einen Mehrwert zu schöpfen – diese Arbeit leistet in Gröpelingen der Verein Kultur Vor Ort. Geschäftsführerin Christiane Gartner hat ihr Büro im sogenannten Torhaus Nord. Zum Shoppingcenter „Waterfront“, zur Fatih- und Mevlana Moschee, zum Übergangswohnheim für Flüchtlinge und zur Stadtteilbibliothek ist der Weg in etwa gleich weit. Seit 18 Jahren arbeitet ihr Verein im Auftrag mehrerer Ressorts an der Schnittstelle von Bildung, Kultur und Stadtentwicklung. Kultur Vor Ort hat ein umfassendes Konzept für integrierte Stadtteilentwicklung erarbeitet, in dem Bildung eine zentrale Rolle spielt. Denn Gröpelingen ist jung. „Die Kinder und Jugendlichen, die hier aufwachsen, werden in ein paar Jahren diesen Stadtteil gestalten“, sagt Christiane Gartner. „Deshalb sind Investitionen in bessere und vielseitige Bildungsmöglichkeiten vor Ort immer auch Investitionen in die Zukunft des Stadtteils.“
„Die Kinder und Jugendlichen, die hier aufwachsen, werden in ein paar Jahren diesen Stadtteil gestalten“
Christiane Gartner, Geschäftsführerin „Kultur Vor Ort“
Das Besondere an der Gröpelinger Bildungslandschaft ist nicht nur, dass so viele Akteure zusammenarbeiten, sondern auch, wie sie es tun. Die hohe Qualität der Kooperationen in Gröpelingen ist das Ergebnis einer langjährigen Zusammenarbeit und kluger Weiterentwicklung. Gemeinsam mit Kultur Vor Ort e.V. haben die Bildungseinrichtungen im Stadtteil miteinander ein Konzept für ein lokales Bildungsmanagement erarbeitet, das Bestandteil der Bremer Gesamtstrategie wurde. Mit Hilfe des Bundesprogramms „Lernen vor Ort“ konnten seit 2009 vorhandene Kooperationen systematisch und qualitativ ausgebaut werden. Das Ziel: Die Zusammenarbeit der Institutionen stärken, um die Qualität der Bildungsangebote zu verbessern. Christiane Gartner ist sich sicher, dass „Lernen vor Ort“ mit seinem strukturentwickelnden Ansatz das richtige Programm am richtigen Ort war. Der Gröpelinger Bildungslandschaft hat es einen qualitativen Quantensprung ermöglicht, der ohne die zusätzlichen Ressourcen nicht zu schaffen gewesen wäre. Sie fasst zusammen: „Wir hatten hier im Stadtteil fünf Jahre lang ein fünfköpfiges Team an wissenschaftlichen Mitarbeitenden, das ganz systematisch unsere Qualifizierung und Strukturentwicklung erarbeitet hat. Vor ‚Lernen vor Ort’ konnten wir als Verein den Impuls zum Aufbau einer Bildungslandschaft in Gröpelingen geben. Diese dann strukturiert weiterzuentwickeln und sie mit den Fachressorts zu verknüpfen, all die Fortbildungsmodule, die Entwicklungsgruppen und die umfassende Konzeptarbeit – das hätten wir als Verein überhaupt nicht leisten können.“





ART BASIC CENTER – ein Bildungsverbund für Gröpelingen
Die Gröpelinger Kooperationsstrukturen sind nicht zufällig: Stadtteilbibliothek, Volkshochschule West, Bürgerhaus Oslebshausen und der Verein Kultur Vor Ort haben sich zu einem Aktionsbündnis für kulturelle Bildung zusammengetan. Ihr gemeinsames Ziel: hochwertige kulturelle Bildung zum Teil des Alltags der Gröpelinger Jugend zu machen. So wollen sie Bildungsmotivation und -teilhabe der Kinder und Jugendlichen stärken. Die kontinuierliche Zusammenarbeit mit Kitas und Schulen soll Lernen entlang des Lebenslaufs im Stadtteil etablieren. Bildungseinrichtungen vor Ort, aber auch Förderer und Verwaltung haben durch den Verbund einen gemeinsamen Ansprechpartner – das erleichtert die Kooperation. Diese Beziehungen werden kontinuierlich ausgebaut, aufeinander bezogen und qualitativ weiterentwickelt. Der Gröpelinger Bildungsverbund wurde 2015 für den BKM-Preis Kulturelle Bildung nominiert.
Das Atelierhaus – eine Brücke zwischen den Institutionen
Wer in Gröpelingen groß wird, für den ist das Leben in vielen Fällen eine Herausforderung. „Kinder, die hier aufwachsen, brauchen eine ganz andere Art von Resilienzförderung“, weiß Christiane Gartner. Resilienz meint das Vermögen, Krisen zu meistern und an ihnen zu wachsen. Kulturelle Bildung ist für Gartner ein Instrument, um diese Kompetenz zu fördern. Sie hat eine Art Jokerfunktion: Sie entwickelt die Persönlichkeit und fördert gleichzeitig soziale, sprachliche und ästhetische Kompetenzen. Kulturelle Bildung überbrückt die Kluft zwischen formaler und non-formaler Bildung sowie zwischen ihren unterschiedlichen Akteuren. Darüber hinaus ist sie kontinuierlich einsetzbar: vom Elementar und Primarbereich bis hin zum Übergang von der Schule in den Beruf und ins Erwachsenenleben.
Kultur Vor Ort betreibt auch das Atelierhaus Roter Hahn für Kinder und Jugendliche. Das Atelier ist einer der Orte, an denen die Erfolgsgeschichte der Gröpelinger Bildungslandschaft sichtbar wird. Im Foyer werden wechselnde Ausstellungen zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler gezeigt. Ein vielfältiges und differenziertes Kursprogramm für Kinder und Erwachsene füllt die Woche. „Wir arbeiten hier am Bildungserfolg der Kinder – aber nicht im Rahmen formaler schulischer Bildung, sondern indem wir den Kindern mehr Selbstwirksamkeit ermöglichen“, fasst Christiane Gartner zusammen. „Das ist der Kern künstlerischer Arbeit“. Kulturelle Bildung ermöglicht die Art von non-formalem Lernen, für die in der Schule oft wenig Raum ist: Wer ein Projekt von Anfang bis Ende selbst durchdenkt, strukturiert und dann sein Ergebnis präsentiert, wird zum Produzenten seiner Arbeit. Wer außerhalb der Schule ein Interesse verfolgt, übt sich darin, eigene Impulse umzusetzen und seine Talente zu entwickeln. Wer dazu ermutigt wird, die bekannten Dimensionen zu sprengen, kann über sich hinauswachsen.





„Schule hat durch ihre Funktion Grenzen. Und alles, was Schule anfasst, wird letztlich Schule. Es gibt aber Ressourcen im Menschen, die kann sie gar nicht ausschöpfen.“
Hajo Sygusch, Referatsleiter für die Zusammenarbeit Schule und Jugendhilfe, Stadt Bremen
Hajo Sygusch lobt die „hervorragende Kooperation mit Künstlerinnen und Künstlern im Stadtteil“ und stellt fest: „So konsequent, von so hoher Qualität und mit so viel Spaß für die Kinder – das kann Schule einfach nicht leisten.“ In der immer besseren Vernetzung der Gröpelinger Bildungseinrichtungen sieht Sygusch „eine wichtige Unterstützung für die Schulentwicklung.“ Ähnlich wie die Bibliothek ist auch das Atelierhaus Ausgangspunkt für viele Bildungskooperationen vor Ort. 8.000 Kontakte zu Kindern und Jugendlichen hat das Atelier derzeit im Jahr. Die Kooperationen werden nicht von oben verordnet, sondern überzeugen durch ihre Erfolge und den Wert für die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler. Maria Schümann, Schulleiterin der Gesamtschule Bremen-West, erzählt begeistert von „Utopia“, einem internationalen und mehrsprachigen Projekt in Zusammenarbeit mit Kultur Vor Ort, das die Teilnehmenden bis nach Missouri in den USA führte: „Das hat alle persönlich enorm vorwärts gebracht. Der Blick ist weit geworden, die Sprachkompetenz hat ungeheuer zugenommen. Sie haben erfahren, dass sie sich in einer fremden Umgebung bewegen und zeigen können – das ist ein riesen Schatz fürs Leben, eine ganz tolle Sache.“ Die Schulleiterin schätzt vor allem die ritualisierte Form der Zusammenarbeit mit Kultur Vor Ort, die sich gut ins Curriculum integrieren lässt. An ihrer Schule sei diese Form der Zusammenarbeit „gar nicht mehr wegzudenken. Das ist bei uns ein fester Bestandteil der Schulkultur, seit vielen Jahren.“




Transfer Gröpelingen/Leipziger Osten
Auch im Leipziger Osten gibt es ambitionierte Pläne für ein lokales Bildungsmanagement. Eine „Quartiersschule “ soll hier Ähnliches leisten wie das Quartiersbildungszentrum in Gröpelingen: Sie soll Mittelpunkt des lokalen Bildungsnetzwerks werden und unterschiedlichen Akteuren und Kooperationen im Stadtteil Raum geben. Mitarbeitende von „Lernen vor Ort“ und aus der Verwaltung trafen sich bereits im Jahr 2013 zum kollegialen und fachlichen Austausch – ein Transferformat, das beiden Teams viel gebracht hat.
Mary Uhlig, damals im Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung: „Das war absolut bereichernd. Wir haben festgestellt, dass es in Bremen und Leipzig bei ähnlichen Dingen hakt, und darüber gesprochen, wie sich damit umgehen lässt. Das Treffen hat mein Bewusstsein geschärft für die strukturellen Probleme, vor denen wir stehen. Es ist schwierig, zwischen Dezernaten und Ebenen der Verwaltung Brücken zu schlagen – das konnte ich nach dem Austausch mit Bremen besser einordnen. Inhaltlich hat das Treffen uns geholfen, unser Konzept abzurunden. Aber es waren auch neue Impulse dabei: Unterricht und Stadtteilbibliothek zu verknüpfen zum Beispiel. Vor allem der vertrauensvolle Austausch war für mich eine Art Rückversicherung: Wir sind auf dem richtigen Weg.“
Quartiersbildungszentrum Morgenland – ein Ort der systematischen Koordinierung
Die mit Hilfe von „Lernen vor Ort“ aufgebauten Strukturen der Zusammenarbeit werden in Gröpelingen weiter entwickelt. Seit Anfang 2015 passiert das im Quartiersbildungszentrum Morgenland (QBZ). Als gemeinsame Initiative der Ressorts Bau, Soziales und Bildung ist das QBZ ein Knotenpunkt für integrierte Bildungsaktivitäten im Stadtteil. Es will alle Akteure, die Verantwortung für Bildung im Lebenslauf übernehmen, noch systematischer zusammenführen und sie darin unterstützen, ihre Angebote klug zu koordinieren und zu verstetigen. Der Bremer Senat hat den Verein Kultur Vor Ort beauftragt, das Haus zu koordinieren und zu entwickeln – auf ausdrücklichen Wunsch der Gröpelinger Schulleitungen. Hajo Sygusch findet dieses Engagement bemerkenswert: „Die haben sich gemeinsam organisiert, um das Thema Sprachbildung voranzutreiben – das ist auch soziales und politisches Lernen im Sinne des Stadtteils.“ Frauke Kötter, langjährige Mitarbeiterin von Kultur Vor Ort, freut sich über die neue Aufgabe: „All diese Bemühungen um Vernetzung, die immer so unsichtbar sind, haben jetzt einen Ort.“ Kötter selbst ist Netzwerkprofi und organisationales Gedächtnis in Personalunion: Als ehemalige Mitarbeiterin des Gröpelinger „Lernen vor Ort“-Teams ist sie mit dem Nutzungskonzept des QBZ von Anfang an vertraut. Als Gesicht der lokalen Bildungsbüros koordiniert sie die Zusammenarbeit der Bildungsakteure und hilft bei der fachlichen Weiterentwicklung. Zudem ist das Bildungsbüro die strukturelle Brücke in die Fachressorts der Verwaltung. Durch die Anbindung ans Referat Zusammenarbeit Schule und Jugendhilfe ist die lokale Bildungslandschaft eingebunden in die kommunalen Bildungsstrategien der unterschiedlichen Ressorts.
Broschüre „Lokales Bildungsbüro Gröpelingen. Erfahrungen, Konzepte, Projekte“
„All diese Bemühungen um Vernetzung, die immer so unsichtbar sind, haben jetzt einen Ort.“
Frauke Kötter, Mitarbeiterin „Kultur Vor Ort“
Lernen hört nie auf; es zieht sich durch einen gelingenden Lebenslauf. Aus diesem Grund haben neben Frauke Kötter bereits zwei weitere wichtige Netzwerkerinnen im QBZ Quartier bezogen. Nataliya Oleynychenko betreibt im Auftrag des Senators für Wirtschaft, Arbeit und Häfen die Aufsuchende Bildungsberatung – ebenfalls von „Lernen vor Ort“ entwickelt. Statt darauf zu warten, dass sie gefunden wird, geht sie dorthin, wo ihre Zielgruppe sich aufhält. Oleynychenko ist daher mehrmals in der Woche in Kitas, Integrationskursen oder in Elterncafés anzutreffen, wo sie die Menschen direkt anspricht und ihnen trägerneutrale Weiterbildungsangebote vorstellt. Ihren Klienten verhilft sie zu Ausbildungsplätzen, weiterführenden Deutschkursen oder zur Anerkennung ihrer Zeugnisse. Nebenan sitzt die Stadtteilmanagerin Rita Sänze für das Programm WIN – Wohnen in Nachbarschaften. WIN zielt auf soziale Stadtentwicklung durch die Stärkung von Nachbarschaften ab und fördert zahlreiche Projekte der Akteure vor Ort. Die Verzahnung dieses Programms der Sozialbehörde mit der Bildungslandschaft soll durch die Verortung im QBZ einfacher werden. Die lokale Bildungslandschaft profitiert von dieser engen Zusammenarbeit: Sie kann ihre Ziele und Strategien auf diese Weise systematisch in das „Integrierte Entwicklungskonzept Gröpelingen“ einbringen – ein Instrument, mit dem die Kommune die Vergabe von EFRE-Geldern (Europäischer Fonds für Regionale Entwicklung) in der Sozialen Stadtentwicklung steuert.
Akteure fördern, vernetzen und qualifizieren – das ist eine Säule des Quartiersbildungszentrums. Die zweite Säule ist die konkrete Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Eltern. Der Bremer Bildungsbericht zeigt: Der Sprachförderbedarf im Stadtteil ist hoch. Daher nimmt das QBZ vor allem die Förderung von Sprachbildung bei Kindern und Jugendlichen und Aktivierung von Eltern in den Blick.






Aufsuchende Bildungsberatung in Gröpelingen
Dieses Angebot ist ein Baustein der Gesamtstruktur trägerneutraler Weiterbildungsberatung im Land Bremen. Ihr Vorteil: Die Aufsuchende Bildungsberaterin gehört zum Steuerungskreis des Programms „Weiterbildungsberatung vor Ort“ des Arbeitsressorts. Dort kann sie Informationen und Impulse aus der Beratungsarbeit vor Ort direkt an die Agentur für Arbeit, das Jobcenter Bremen oder die Kammern weitergegeben.
Für Erwin Böhm, Leiter des Sozialzentrums West, ist dieser zweite Fokus besonders wichtig: „Wir müssen die Eltern als Akteure für Bildung einbeziehen, auch an Schulen.“ Er nehme oft wahr, dass Eltern „als Störenfriede erlebt werden. Wer so handelt, bringt Kinder in einen Loyalitätskonflikt.“
Das Thema Spracherwerb und -kompetenz zieht sich bereits seit Jahren als roter Faden durch die Angebote von Kultur Vor Ort. Das MO43, die Werkstatt für Wort und Sinn, schließt an bestehende Sprachförderungsprojekte in Schulen und Kitas an und fördert die Sprachbildung von Kindern und Jugendlichen mit den Mitteln der kulturellen Bildung. Literacy-Förderung, Storytelling, Schreibworkshops, Verzahnung mit Bibliotheken und dem lokalen Radiosender – Kultur Vor Ort sprudelt vor Ideen. „Das Potenzial ist riesig, und wir stehen noch ganz am Anfang“, freut sich Christiane Gartner über diese „riesige Schatzgrube“. Gerade wurde erfolgreich das Family–Literacy-Projekt „Sprachen im Gepäck“ entwickelt. Es will Eltern eine neue Möglichkeit eröffnen, im Bildungssystem eine aktive Rolle zu spielen.
Noch mehr Schwung für Gröpelingen
Das QBZ hat im Juli 2015 kaum drei Monate geöffnet, doch über fehlendes Interesse kann Frauke Kötter sich nicht beklagen. Partner des Hauses sind schon jetzt das Paritätische Bildungswerk, das Regionale Unterstützungs- und Beratungszentrum der Bildungsbehörde und der Mensabetreiber Arbeiter-Samariter-Bund. Die Bildungskoordinatorin bekommt „viele Anrufe von Institutionen, die mich fragen: ‚Wie können wir zusammenarbeiten?‘“ Den Grund für die hohe Kooperationsbereitschaft der Akteure sieht sie in der gründlichen Vorarbeit. „Wir müssen niemanden mehr überzeugen – das ist alles durch ‚Lernen vor Ort‘ passiert.“ An Plänen für das QBZ mangelt es auch nicht: Qualifizierungsangebote für die Institutionen, Pädagogen und Mitarbeitende im Stadtteil, Raum für Werkstattgespräche und Konzeptarbeit. Das QBZ will eine Entwicklungsgruppe einberufen, die Themen zwischen den Institutionen bearbeitet: Mehrmals jährlich sollen sich die Leitungen von Kitas, Schulen und Kultureinrichtungen treffen, um Themen und Projekte festzulegen. Schulaufsicht, Ortspolitik und Jugendhilfe begleiten diesen Prozess.
Geplant ist auch der Aufbau eines Fachbeirats, in dem die steuernden Ressorts ebenso vertreten sind wie Fachleute aus Wissenschaft und Politik. Damit wird das Quartiersbildungszentrum Morgenland zu einem Modell dafür, wie Bildung in hochdiversen Stadtteilen zukünftig besser organisiert werden kann – als Querschnittsaufgabe vieler Akteure, die sich untereinander abstimmen und gemeinsam an der Qualität und Kohärenz ihrer Kooperation arbeiten. „In Gröpelingen funktioniert das schon ganz gut“, findet Hajo Sygusch. Bildung hat hier viele Gesichter. Sygusch ist sich sicher: „Da entsteht ein Schwung.“
Der Stadtspaziergang durch die Bremer Bildungslandschaft Gröpelingen ist zuerst erschienen in "bewegt – Magazin für kommunale Bildungslandschaften" 1/2015, das Sie hier kostenfrei als Printausgabe bestellen können.