„Wenn man immer nur mit der eigenen Fachbrille auf ein Thema schaut, ist man sehr schnell an Grenzen.“

Ressortübergreifendes Arbeiten ist in Verwaltungen nicht selbstverständlich. Verwaltung ist traditionell versäult organisiert – das heißt, die einzelnen Ämter stehen nebeneinander und arbeiten für sich, Schnittstellen sind rar. In Mönchengladbach hat sich das in den letzten Jahren stetig verändert: Hier arbeiten der Fachbereich Kinder, Jugend und Familie/ Jugendhilfeplanung und der Fachbereich Schule und Sport und die Schulaufsicht in einer Geschäftsstelle ressortübergreifend zusammen. So können die Mitarbeitenden die Bereiche Jugend und Schule stärker zusammendenken, Themen gemeinsam angehen und Projekte verwirklichen. 
 
Im Gespräch erzählen Hans Boeker, FB Kinder, Jugend und Familie / Jugendhilfeplanung, und Cora Alyassin, Fachbereich Schule und Sport / Abteilungsleitung des Regionalen Bildungsbüros, wie es zu der Zusammenarbeit kam, was sie voneinander gelernt haben und ob es auch mal kracht. 
Gab es einen Schlüsselmoment für Ihre Zusammenarbeit?  
 
Hans Boeker: 2016 startete das Projekt „Bildung integriert“. Es hat uns ermöglicht, gemeinsame Strukturen aufzubauen und die beiden Bereiche so eng miteinander zu verknüpfen, dass es alltägliches Geschäft ist, aneinander zu denken und miteinander zu sprechen.   
 
Schon seit einigen Jahren gibt es Bemühungen, in Arbeitskreisen so etwas wie ein Schnittstellenmanagement zu etablieren. Aber jetzt bewegen wir uns in einem sicheren Terrain: Die Handlungsfelder sind abgesteckt, es ist politisch gewollt, dass wir miteinander arbeiten und es ist auch innerhalb der Verwaltung gelungen eine sichere Struktur zu etablieren.  
 
Mit Erstellen des Bildungsberichts 2018 ist gelungen die Definition von Bildung einheitlich zu definieren. Dazu haben wir uns die tatsächliche Definition von Bildung angeschaut und überlegt, was wir im Bildungsbericht alles haben wollen, zum Beispiel die Struktur der Übergänge abbilden.   
 
Als in diesem Zuge der Begriff Jugendhilfeplanung/Schulentwicklungsplanung in Jugendhilfeplanung/Bildungsplanung verändert wurde, hat der Prozess wirklich Leben gekriegt. Wir haben das Gefühl bekommen: Wir können das so bewältigen und auch gestalten.  
 
Cora Alyassin: Wir haben das Thema Bildung in beiden Fachbereichen als wichtigsten Grundbaustein für Lebenslanges Lernen und Bildungsgerechtigkeit ausgemacht. Wir fangen also bei Herrn Boeker, im Fachbereich 51, mit den Kleinsten im Kitabereich bzw. mit dem Netzwerk „Frühe Hilfen“ bereits direkt nach der Geburt an und gehen dann gemeinsam über Schule bis hin zum Thema Weiterbildung. Es gibt so viele Überschneidungen im Bildungsbereich, dass es einfach eine gute Zusammenarbeit braucht.  
 
Weil Sie gerade vom alltäglichen Geschäft gesprochen haben: Wie sieht Ihre Zusammenarbeit, also die Zusammenarbeit zwischen den Ämtern Jugend (51) und Schule (40) konkret aus? 
 
Hans Boeker: Wir haben ein Schnittstellenorganigramm, in dem wir anhand des Lebenslangen Lernens Arbeitskreise platziert haben. Diese treffen sich regelmäßig, tauschen ihre aktuellen Themen miteinander aus und gehen auch entsprechend in eine Weiterentwicklung der Angebote in der kommunalen Bildungslandschaft.  
 
Für uns in der Geschäftsstelle, in der Abteilungsleitung oder in der Jugendhilfeplanung macht sich die Zusammenarbeit durch die neuen kurzen Wege deutlich. Wenn Fragen auftauchen, können wir uns über E-Mail oder Telefon immer schnell erreichen. Da wir ständig im Austausch sind, müssen wir auch nicht mehr lange erklären, was fehlt.  
 
Cora Alyassin: Auch die Geschäftsstelle hat feste Strukturen. Die Bildungsmonitorerin, die Managerin und die Schnittstellenmanagerin aus dem Bereich Jugend setzen sich einmal die Woche zu einem festen Termin zusammen. Das heißt, die drei haben einen superengen Kontakt und planen in diesem Termin gemeinsam die weiteren Schritte laufender Projekte. In diesem Jahr geht es zum Beispiel um den zweiten Bildungsbericht. 
 
Außerdem gibt es noch die Steuergruppe “Integrierte Bildungs- und Jugendhilfeplanung“, welche viermal im Jahr zusammenkommt und unser wichtigstes Lenkungsgremium für neue Themen ist.  

Wir haben das Thema Bildung in beiden Fachbereichen als wichtigsten Grundbaustein für Lebenslanges Lernen und Bildungsgerechtigkeit ausgemacht.

Cora Alyassin, Fachbereich Schule und Sport / Abteilungsleitung des Regionalen Bildungsbüros
Jede Zusammenarbeit ist von Hochs und Tiefs geprägt. Wir gehen deshalb davon aus, dass es auch in Ihrer Zusammenarbeit kleinere und größere Krisen gab oder gibt. Wie haben Sie diese überwunden? 
 
Cora Alyassin: Ich glaube, wir brauchen darüber nicht zu spekulieren. Wenn man sich einander öffnet, dann öffnet man auch seine Zuständigkeitsbereiche für den anderen Fachbereich – und natürlich kommt es da zu Unstimmigkeiten. Mal mehr, mal weniger stark.  
 
Daran muss man sich aber gewöhnen. Es findet sich auch immer ein Weg, sich damit auseinanderzusetzen. Ich glaube, das ist ein Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist. Und ich finde das auch vollkommen in Ordnung, weil wir ja aus solchen Prozessen auch immer lernen.    
 
Hans Boeker: Klar, so etwas gibt es – ein bisschen Kompetenzgerangel. Das ist immer schwierig, finde ich. Aber wir haben jetzt eben ein Format, wo wir solche Streitigkeiten schnell ausräumen können, da wir uns an einen Tisch setzen und klare Worte miteinander sprechen.  
 
Und der Erfolg, auch innerhalb der Verwaltung, motiviert. Als zum Beispiel unser neuer Oberbürgermeister angefangen hat, eine strategische Planung für die Gesamtstadt zu machen, waren wir mit unseren Themen bereits supergut aufgestellt. So hatten wir schon Formulierungen, Maßnahmen und Handlungsempfehlungen. Da war ich ein kleines bisschen stolz auf uns. 
 
Welche Bedarfe oder Anliegen Ihrer Zielgruppe lassen sich durch Ihre Zusammenarbeit effektiver lösen? 
 
Cora Alyassin: Wir entwickeln sehr spezifische Projekte gemeinsam. Zum Beispiel unser Projekt zum Schulabsentismus. Das Thema geht den Fachbereich Kinder, Jugend und Familie genauso an, wie den Fachbereich Schule und Sport. Wir sind beide daran interessiert, die Schulabsentismuszahlen zu senken. Und was ist dabei herausgekommen? Ein cooles Projekt, das von beiden Seiten entwickelt wurde und gemeinsam mit einem Jugendhilfeträger umgesetzt wird. Was haben wir noch? Kooperationen zwischen Schulen, Jugendeinrichtungen, Kitas, Familiengrundschulzentren … 
 
Hans Boeker: Wichtig ist, dass wir alles systematisch und gemeinsam angehen. Erst zuletzt wurde eine interessante Zahl zum Übergang an Weiterführende Schulen veröffentlicht. Früher haben sich jedes Jahr mindestens 100 Kinder bzw. Familien nicht zu einer Weiterführenden Schulen angemeldet. Jetzt sind es nur noch 20. Da sehe ich erste Erfolge vom Übergangsmanagement.  
 
Auch beim Thema Sprachförderung entwickeln wir gerade eine gesamtstädtische Idee. Wie sollte so eine Konzeption aussehen? Was machen wir alle gleich? Wie können wir gute Bedingungen für Kinder schaffen, Sprache zu lernen. Und im Nebeneffekt auch für die Eltern.  
 
Im Bildungsbericht wurde beschrieben, welche Möglichkeiten Kommune überhaupt hat, die kommunale Bildungslandschaft zu gestalten. Das war vorher kein Thema im Fachbereich Schule und Sport. Da gab es die Verwaltung, Schulträgerschaft und die Pädagog*innen in den Schulen.  
 
Die Pädagog*innen, die in den regionalen Bildungsnetzwerken gesessen haben, durften vielleicht mal Fortbildungsangebote machen. Jetzt aber ist die Situation ganz anders. Die Pädagog*innen spielen eine wichtige Rolle und wir wollen alle gemeinsam die Dinge in der Stadt positiv für die Zielgruppe entwickeln.  

Und der Erfolg, auch innerhalb der Verwaltung, motiviert.

Hans Boeker, Fachbereich Kinder, Jugend und Familie / Jugendhilfeplanung
Was konnten Sie durch die Zusammenarbeit voneinander lernen? 
 
Hans Boeker: Zum Beispiel haben wir gelernt, dass wir auch mal die Blickrichtung ändern müssen. Oder akzeptieren, dass es auch andere Blickweisen auf Dinge gibt als die der Jugendhilfe. Das ist ein tägliches Lernen, durch unsere Zusammenarbeit.  
 
Cora Alyassin: Es gibt auch ganz explizite Themenfelder, bei denen wir voneinander lernen. Wir zum Beispiel steigen jetzt in die Schulentwicklungsplanung ein und in die Beschreibung des nächsten Schulentwicklungsplans. Natürlich macht es Sinn, sich einen Kitabedarfsplan anzugucken und Prognosezahlen aus dem Fachbereich 51, wenn ich selbst für die nächsten Jahre Prognosen stellen möchte.  
 
Durch die Zusammenarbeit unserer beiden Fachbereichsleiter, Herrn Weuthen und Herrn Roettgen, hat sich außerdem die Auffassung in den einzelnen Bereichen verändert: Wir sind mehr als Verwaltung, wir sind mehr als Schulträger! Ich würde sagen, es ist viel Inhalt in den Fachbereich Schule und Sport gekommen. 
 
Wie stellen Sie sich Ihre Zusammenarbeit in fünf Jahren vor? 
 
Hans Boeker: Eine Vision ist, dass wir auch organisatorisch anders zusammenrücken. und unsere Fachbereiche tatsächlich auch unter einem Dezernat wiederzufinden sind. Das wäre toll. Ein gebundener Ganztag wäre für mich zum Beispiel ein Traum, um die Kooperation noch besser auch in Schule leben zu können. 
 
Cora Alyassin: Wenn wir noch enger - zum Beispiel in einem Dezernat - zusammenwachsen würden, so wie es ja auch in vielen anderen Kommunen tatsächlich ist. Wenn also die Bereiche Schule und Jugend gemeinsam in einem Dezernat untergebracht wären, würde bestimmt alles noch leichter. Wobei ich eigentlich auch jetzt positiv gestimmt bin. Wir kriegen immer mehr Inhalte mitgegeben, uns wird immer mehr anvertraut – das muss ja einen Grund haben. Unsere Themen werden vielfältiger und größer. Ich hoffe einfach, dass das perspektivisch so bleibt.