Da es eine Vielzahl von Akteuren mit eigenen Zielsetzungen und institutionellen Logiken gibt, braucht es eine andere Form der Steuerung. Es geht nicht per Anweisung, Verordnung und Top-down, sondern nur durch ein gemeinsames Commitment und eine freiwillige Vereinbarung zur Zusammenarbeit und zu gemeinsamen Abstimmungsprozessen. Die Kommune ist die Institution, die am besten dafür geeignet ist, eine solche Moderations- und Koordinationsrolle zu übernehmen. Eine solche Steuerung muss in der kommunalen Struktur sehr hoch angesiedelt sein, etwa beim Oberbürgermeister oder dem Dezernenten, um dem ganzen Thema ein starkes Gewicht zu geben. Dazu müssen die Entscheider der beteiligten Institutionen an einen Tisch, zum Beispiel in einer Steuergruppe. So können sie gemeinsam Entscheidungen für diese jungen Menschen vor Ort treffen.
Durch ihre Tätigkeiten in Mannheim und in Weinheim haben Sie ganz unterschiedliche Steuerungsmodelle kennengelernt. Was macht eine gute Steuerungsarchitektur aus?
Meine Erfahrungen aus Mannheim und Weinheim, aber auch bundesweit mit der Weinheimer Initiative, zeigen, dass die Steuerung dann gelingt, wenn sie kommunal bei der Spitze angebunden ist. Die Steuerung und gemeinsame Gestaltung des Übergangs Schule-Beruf muss Chefsache sein. Nur dann kommt auch die Entscheiderebene der beteiligten Institutionen wie Schulen, Betriebe, Agentur für Arbeit, Kammern, etc. zu den Treffen. Hilfreich ist auch ein Denken in Verantwortlichkeiten und nicht in Zuständigkeiten und der schrittweise Aufbau einer Verantwortungsgemeinschaft für gelingende Übergänge und die bestmögliche Entwicklung der jungen Menschen vor Ort. Ein dritter wichtiger Aspekt ist die Schaffung von Ressourcen (Koordinierungsstelle) und die Anbindung dieser Stelle an die Fachbereiche Jugend und Bildung.
Was für einen Mehrwert stellt das DKBM für die Steuerung des Übergangs Schule-Beruf dar?
Die Entscheider müssen dieses Thema mit Bedeutung aufladen. Um es aber auf der operativen Ebene umzusetzen, benötigt es ein Bildungsmanagement. So kann ein Netzwerkmanagement und eine Kooperationskultur aufgebaut werden. Da ist eine datenbasierte Planung sehr hilfreich: Daten als Grundlage, um Bedarfe einschätzen zu können, Anhaltspunkte für Entwicklungen oder auch Deutungen, „wie erklärt man sich eine solche Entwicklung nach der Datenlage?“, „welche Konsequenzen zieht man gemeinsam daraus?“ Allerdings ist auch meine Erfahrung, dass man die Zahlen nicht überbewerten darf, sondern auch weiche Faktoren, wie übergreifende Kompetenzen etwa persönliche Entwicklungen, die Entwicklung von Netzwerken und Kooperationen berücksichtigen muss. Ein gelingender Übergang ist oft das Ergebnis eines komplexen Wechselwirkungsprozesses.
Demografische Entwicklungen in den letzten Jahren haben die Anforderungen an eine gesamtstädtische Steuerung geändert. Welche Chancen und Potentiale sehen Sie?
Die Bedeutung kommunaler Steuerung ist sowohl durch die demografische Entwicklung als auch durch die Neuzuwanderung gestiegen. Mit der Ankunft von Neuzugewanderten in einem relativ kurzen Zeitraum ist ein erhöhter Handlungsdruck in verschiedenen Bereichen, zum Beispiel Wohnen, Bildung, Beschäftigung und Freizeit entstanden. So wurde schnell deutlich, dass sich ohne eine gemeinsame rechtliche Abstimmung in den Kommunen – die Zusammenarbeit der verschiedenen Ämter und Zuständigkeitsbereiche – wenig bewältigen lässt. Das macht die Bedeutung einer Steuerung sowohl innerhalb der Kommune, aber auch mit externen Akteuren, wie Betrieben und Ehrenamtlichen, Kammern, Arbeitsagentur, Schulen und Bildungsträgern deutlich. Darin liegt auch eine Chance, vorhandene Strukturen zu stärken und bestehende Konzepte zu erweitern. Zum Beispiel haben wir in Weinheim die langjährigen Erfahrungen der Jugendberufshilfe in einem neuen Konzept der Berufsbildungslotsen zur beruflichen Orientierung und Unterstützung für Neuzugewanderte eingebracht und weiterentwickelt. Auf der anderen Seite haben wir ein niederschwelliges Angebot für Neuzugewanderte in Form einer Lernpraxiswerkstatt entwickelt. Hier werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in handwerklichen Projekten auf Ausbildung und Arbeitsmarkt vorbereitet. Dieses neue Instrument und die neu entwickelte Struktur wird nun auch genutzt, Jugendliche ohne Fluchthintergrund besser auf Ausbildung und Arbeit vorzubereiten.
Gibt es aus Ihrer Sicht noch weitere Entwicklungen, zum Beispiel aus der Verwaltung, die die Steuerung in dem Bereich Übergang Schule-Beruf in den nächsten Jahren beeinflussen werden?
Ich denke, dass es zwei wichtige und spannende Richtungen gibt. Einmal wird es immer notwendiger, dass man Querschnittsstrukturen schafft und einbezieht. Es reicht nicht mehr, in den versäulten Zuständigkeitsbereichen zu denken, sondern wir müssen miteinander denken und Querverbindungen herstellen. Immer mehr Themen lassen sich nur in einem Denken in Zusammenhängen und mit Querschnittsstrukturen lösen, wie zum Beispiel in fluiden Organisationsformen, agilem Projektmanagement, etc. Zum anderen ist die Aufgabe „Kommunale Koordinierung“ bislang eine freiwillige Aufgabe von Kommunen, die rechtlich nicht verpflichtend ist. In Zeiten knapper werdender Kassen könnte es passieren, dass die Ressourcen für Bildungsmanagement und Koordinierungsstrukturen wie Bildungsbüro in Frage gestellt und gestrichen werden Ich würde mir wünschen, dass kommunale Steuerungsstrukturen wie zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen fest verankert werden würden. Hier wurden in jeder Kommune Strukturen mit Ressourcen hinterlegt. Solche Beispiele sollten Schule machen. Die Aufgabe der kommunalen Koordinierung sollte von den Ländern entsprechend festgelegt und mit Ressourcen ausgestattet werden.
Was würden Sie Kommunen mit auf den Weg geben, die gerade dabei sind, ihre eigenen Steuerungsstrukturen auf- oder auszubauen?
Folgende Dinge sind aus meiner Sicht hilfreich und wichtig: Erstens sollte man die Entscheiderebene der Kommune gewinnen und das Thema der Kommunalen Koordinierung im Übergang Schule-Beruf zu einem Thema der Dezernentin, des Dezernenten oder des Oberbürgermeisters machen. Dadurch wird das Thema mit politischer Bedeutung aufgeladen und es gelingt leichter, auch andere Entscheider zu gewinnen. Als zweites ist es wichtig, für die Idee werben, über bestehende Zuständigkeitsgrenzen hinweg eine Verantwortungsgemeinschaft für gelingende Bildungsbiografien von jungen Menschen zu entwickeln. Das dritte wäre, entsprechende Strukturen einzurichten: einerseits regelmäßig stattfindenden Treffen einer Steuerungsgruppe, die moderiert vom OB / Dezernenten die Entscheider anderer Institutionen zusammenbringt. Zum anderen das Einrichten eines Bildungsbüros / einer Stelle für Kommunale Koordinierung, die die Beschlüsse der Steuergruppe operativ umsetzt.