"Communities That Care"

Interview mit Janina Hentschel und Dr. Martina Schliessleder zum kulturellen Wandel in der Augsburger Verwaltung
Hausfassade mit Baugerüst

Wie Augsburg Prävention ganzheitlich denkt, individuell umsetzt und einen wichtigen Schritt Richtung Bildungsgerechtigkeit geht, erzählen Janina Hentschel, Leiterin der Präventionsstrategie "Communities That Care" (CTC), und Dr. Martina Schliessleder, Leiterin der Fachstelle Schulentwicklung und Bildung. 

Was macht den Ansatz „Communities That Care“ besonders?

 
J. Hentschel: Ein wichtiger Erfolgsfaktor, der sich von anderen Ansätzen unterscheidet, ist, dass wir die jeweilige Präventionsstrategie mit den Akteurinnen und Akteuren aus dem Stadtteil erarbeiten – sie wird deshalb auch dort mitgetragen. Ein weiterer wesentlicher Punkt ist, dass wir evidenzbasiert arbeiten. Wir implementieren nicht etwas, wovon wir denken, dass es gut passen könnte. Sondern wir wissen genau, dass dieses Präventionsangebot den Schutzoder Risikofaktor A, B oder C bearbeitet. Und von den USA wissen wir: Jeder Dollar, den ich investiere, spart fünf Dollar am Ende ein, die ich in andere Maßnahmen stecken müsste. Das ist eine große Chance, weil es das Ganze von der politischen Seite her interessant macht. 
 
CTC verortet sich in der Gewalt- und Kriminalitätsprävention, der Ansatz ist aber sehr breit aufgestellt. Wie arbeiten Sie mit dem Bereich Bildung zusammen?
 
J. Hentschel: Bildung ist ein zentraler Baustein, wenn es darum geht, das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen zu fördern. Wir wissen, dass der Bildungserfolg mit vielen Aspekten zusammenhängt, einer davon ist dieschulische Bindung. Allein dadurch, dass wir Schulberichte erstellen, anhand derer die Schulen individuelle Präventionsstrategien entwickeln können, gehen wir einen großen Schritt in Richtung Bildungsgerechtigkeit.
 
Aber Schule ist nicht alles. Wenn ein junger Mensch von seinen individuellen Faktoren her so gefördert wird, dass er sein Potenzial nutzen kann, Bindung erlebt, die über die familiäre hinausgeht, dann können viele Risikofaktoren kompensiert werden. Das ist eine große Chance, wenn wir uns anschauen, wie stark das Thema Bildungsgerechtigkeit immer noch mit sozialen Milieus und mit der Frage der Herkunft verknüpft ist. Mit CTC gehen wir diese Aspekte nach und nach an.

 

Welche Schnittstellen gibt es zwischen dem Bildungsbüro und dem Büro für Kommunale Prävention?

 
M. Schliessleder: Die größte ist inhaltlicher Art: Es geht darum Bildungsgerechtigkeit zu schaffen und Chancengerechtigkeit zu ermöglichen. Eine konkrete Schnittstelle ist der Arbeitskreis Schule-Prävention, den es bereits seit vier Jahren gibt. Ich bin mit zwei Hüten auf dem Kopf dort vertreten: als Verantwortliche des Bildungsbüros und -managements, aber auch als Vertreterin der Fachstelle Schulentwicklung und Bildung. Außerdem ist eine Kollegin aus der Jugendhilfe und eine aus dem Büro für Kommunale Prävention vertreten. Und in erweiterter Form trifft sich der Arbeitskreis mit Schulaufsicht und Lehrkräften. Gemeinsam schauen wir uns die Schulthemen an. Was wir als Bildungsbüro aus dieser Runde mitnehmen ist, dass wir um die Risiko- und Schutzfaktoren Bescheid wissen. Wenn wir außerschulische Maßnahmen beurteilen oder fördern, achten wir darauf, dass die Schutzfaktoren gestärkt und die Risikofaktoren geschwächt werden.
 

Eine weitere erfreuliche Schnittstelle ist ein kleines Budget, das wir haben, mit dem wir ganz konkret Präventionsangebote an Schulen finanziell unterstützen können.

Es gibt auch eine Fachgruppe innerhalb der Verwaltung,in der die Bildungsplanung mit drinsitzt und als Schnittstelle fungiert. Das heißt, wir wissen sehr gut voneinander und kommunizieren regelmäßig miteinander. Das ist sehr gewinnbringend aus Sicht des Bildungsmanagements. Denn wir schaffen Transparenz, wer an welchen Themen dran ist, so dass wir uns nicht gegenseitig auf die Füße steigen oder Doppelstrukturen aufbauen.
 

Das ist ein Ziel des DKBM: parallele Koordinierungsstrukturen abzubauen. Wie haben Sie bei CTC versucht, diesem Phänomen vorzubeugen?

 
J. Hentschel: Ich habe eine halbe Stelle für CTC und eine halbe Stelle für die Urbane Konfliktprävention. Dadurch ist das Wissen über die Stadteilnetzwerke in unserem Fachbereich recht hoch. Im Endeffekt haben wir auf diese Strukturen aufgebaut und keine Parallelstruktur entwickelt, sondern aus einem Gremium eine Expertenrunde gegründet, die sich immer wieder rückkoppelt mit einer Stadtteilkonferenz, die von lokalen Akteurinnen und Akteuren geleitet wird.
 
M. Schliessleder: Auch beim Monitoring bauen wir auf vorhandene Strukturen auf: Von unserem Bildungsplaner und -monitorer Klaus Maciol gibt es eine Kennzahlengruppe, die ins Leben gerufen wurde, um zu schauen, welche Fachbereiche auf welche Daten angewiesen sind. Hier gibt es eine erste Matrix, wo an vielen Stellen klar ist, dass CTC Daten liefert oder auf ähnliche Daten angewiesen ist, wie das Bildungsmonitoring. Die Idee ist nun, zu überlegen, wer welche Daten braucht und welche Daten wir gemeinsam benötigen, diese allen zur Verfügung zu stellen und zu verknüpfen mit entsprechenden Kennzahlen, um damit zu steuern.
 

Das heißt: Einerseits liefert CTC Daten, die andere Abteilungen bereichern. Gleichzeitig bezieht CTC Daten aus dem Bildungsbereich, z.B. aus dem Monitoring?

 
J. Hentschel: Bevor man die Faktoren priorisiert, ist ein Schritt im CTC-Gesamtprozess, die Sekundärdaten zu sichten zu den erhobenen Daten, vor allem wenn es um Schulabbruch geht. 

Ganz zentral sind aber die qualitativen Aussagen, die die Kinder und Jugendlichen selbst berichten. Das ist etwas, was uns häufig in der Diskussion in den Planungsprozessen fehlt und ein Pfund, mit dem CTC wuchern kann.

Janina Hentschel, Leiterin der Präventionsstrategie CTC in Augssburg
Ich habe das Gefühl, dass gerade in die asynchronen Prozesse, die wir insgesamt haben, weil die Lobby für Kinder und Jugendliche insgesamt nicht so stark ist, durch CTC ein neuer Impuls hineinkommt, der auf keinem anderen Weg abgedeckt wird.
 

Sie haben eine Reihe positiver Effekte von CTC beschrieben. Sicher begegnen Ihnen aber auch Herausforderungen bei Ihrer Arbeit?

 
M. Schliessleder: Die starren Strukturen der Schulen sind immer wieder herausfordernd, weil so viele verschiedene Verantwortliche einbezogen werden müssen bis hin zum Ministerium. Wir haben zwar Glück, weil wir in Augsburg ein gutes Verhältnis haben zur staatlichen Schulaufsicht. Aber es ist nicht so einfach, unkompliziert in die Schulen hineinzukommen und auf Akzeptanz zu stoßen, was die Grundlage ist, um dort gut zu arbeiten.
 
J. Hentschel: Ein Beispiel: Wir sind jetzt an der Stelle, dass die Befragung der Schülerinnen und Schüler ausgewertet sind und wir nun in einem Stadtteil schauen, welche Präventionsangebote auf der Basis der priorisierten Risiko- und Schutzfaktoren vor Ort greifen könnten. Die Befragung ist aber davon abhängig, dass die Schulen mitwirken. Und es ist ein hoher Aufwand, Überzeugungsarbeit zu leisten. Ein zentraler Moment war, die Schulberichte zur Verfügung zu stellen, die aber jeweils nochmal extra Kosten mit sich bringen. Doch auch innerhalb der Schulstruktur war der zeitliche Aufwand enorm: So haben wir viel Energie darauf verwendet, mit einzelnen Lehrkräften auszuhandeln, wie die Teilnahme an der Befragung genau aussieht. Das bindet Kapazitäten und macht man nicht mit einer halben Stelle nebenbei, daher haben wir die Arbeitskraft immer wieder mit zusätzlichen Kapazitäten aufgestockt.
 
Und was man wissen muss: Kernaufgabe von CTC ist die stadtteilbezogene Arbeit. Die Schulberichte und die Beratung dazu ist eine Aufgabe, der wir uns angenommen haben, die jedoch nicht Herzstück des CTC-Prozesses ist. Diesem geht es immer um den Stadtteil als Ganzes. Den Schulen haben wir einen Beratungstermin mit einer Person aus der Fachgruppe angeboten, um Orientierung zu geben, wie man als Schule auf der Basis des Berichts eine schulbezogene Präventionsstrategie erarbeiten kann. Da haben wir nur von zwei Schulen eine Rückmeldung bekommen. Und wir haben nicht die Kapazitäten,um nachzuhaken, woran das liegt. Wenn wir da ran wollten, müssten wir mindestens eine Stelle schaffen, die sich ausschließlich mit dem Thema Schule und CTC befasst, was einen großen Sprung bei der Implementierung von schulbezogenen Präventionsstrategien bedeuten würde, weil Schulen eine große Verantwortung im Kontext von Prävention haben. In der Realität erleben wir, dass für Präventionsbeauftragte und Schulleitungen das Thema eines unter Tausenden ist. Viele können nicht mehr als zwei, drei Präventionsprojekte jedes Jahr, z.B. zu Drogen oder zu Kriminalität, leisten. Da ist unheimliches Potenzial.
 
M. Schliessleder: Ein weiteres großes Thema generell ist, dass CTC, wenn es in Jugendämtern angesiedelt ist, als Querschnittsthema von Jugendhilfeplanung gedacht wird. In Augsburg ist dies nicht der Fall, aus vielerlei guten Gründen ist es beim Büro für Kommunale Prävention angesiedelt. Das erleben wir nicht immer als Vorteil, weil CTC an dieser Stelle besonderen Herausforderungen unterliegt, als Querschnittsthema im Bereich Jugendhilfe gedacht und ausgestaltet zu werden.
 
J. Hentschel: Natürlich ist es immer leichter, wenn es in den Fachbereichen, in denen ich die größtmögliche Wirkung erzielen kann, ein Ownership für das Thema gibt. Gerade in Verwaltungsstrukturen, wo noch wenig in hybriden Projektstrukturen gearbeitet, sondern stark in Silos gedacht wird.
 

Wie sind Sie mit dieser Herausforderung umgegangen?

 
J. Hentschel: Wir haben durch eine Art Trick versucht, diese Struktur aufzubrechen, sind dann aber an den Dienstwegen gescheitert: Wir wollten eine Stadtteilkoordination für CTC schaffen, die beim Amt für Kinder, Jugend und Familie, also bei unserem Jugendamt im Präventionsbereich angesiedelt ist. So dass dort die Stadtteilkoordination und bei mir das Übergeordnete gelaufen wäre nach dem Vorbild der schwedischen Stadt Malmö: In jedem Fachbereich hat man dort eine Person, die für CTC zuständig ist und unterschiedliche Regionen betreut mit den dazugehörigen Stadtteilen. Das fand ich einen klugen Gedanken, als Querschnitt zu arbeiten und zu denken. Aber so weit ist die Verwaltung leider noch nicht. Alle in der Fachgruppe fanden die Idee zwar gut. Als es jedoch darum ging, diese Stelle auszuschreiben, wurde das Konstrukt in Frage gestellt, weil nicht greifbar wurde, wie die Aufteilung in Fach- und Dienstaufsicht in
der Praxis ausgestaltet werden kann. Das ist in der Logik der Verwaltung absolut nachvollziehbar, bringt bei einem Prozess wie CTC jedoch große Hürden mit sich.
 

Was würden Sie anderen Kommunen auf den Weg geben, die CTC einzuführen wollen?

 
J. Hentschel: Was wir immer anführen ist, dass wir den Rückhalt in der Verwaltung, auf der politischen Ebene und auch im Stadtteil brauchen. Das erreiche ich, wenn
ich am Anfang viel Zeit in die Überzeugungsarbeit stecken kann, bevor man einen schnellen Beschluss herbeiführt. In Augsburg sind wir eventuell zu schnell ins
Handeln gekommen, nachdem die CTC-Stelle besetzt war. Man hätte länger miteinander aushandeln können, sollen, müssen, wie das Ganze im Endeffekt aussehen
und welchen Mehrwert CTC für die Kommune haben kann, wenn alle an einem Strang ziehen.
 
Grundsätzlich ist es absolut wichtig, dass das Verfahren an andere Planungsprozesse anknüpft und sich als Querschnittsthema versteht und man von Anfang an daran arbeitet, dass es zu einer Sache von allen wird.
 
M. Schliessleder: Ich reite immer wieder drauf rum, aber das ist grundlegend: die politische Legitimation. Wenn das nicht von ganz oben gewollt ist, dann kann man tun
und lassen, was man will, man wird nicht nur mit wenig, sondern mit gar keinen Ressourcen ausgestattet. Und was ganz entscheidend ist, wenn man sich auf den Weg
macht: 

Man muss bereit sein, etwas einzusetzen – sei es Ressourcen wie Geld und Personal, aber auch den Mut, zu sagen, wir gehen aus der Versäulung der Verwaltung heraus und ermöglichen direkte Durchgänge. 

Dr. Martina Schliessleder, Leiterin der Fachstelle Schulentwicklung und Bildung in Augsburg
Darüber sollte man sich im Vorfeld bewusst sein. Ein Rezept für Erfolg ist ein kurzer Weg mit direkten Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern. Das muss man nicht nur wollen, sondern auch wagen.
 
J. Hentschel: Das geht ja schon über CTC hinaus zu fragen: Wo steuert Verwaltung eigentlich hin? Kann Verwaltung ein Säulenmodell bleiben? Oder ist es Zeit, zu einer Arbeit zu kommen, die projektbezogen oder fach- oder themenbezogen läuft, um gesellschaftlichen Entwicklungen zu begegnen, wo eine ganz andere Haltung dahintersteht? Wenn dann die Augsburger Verwaltung als ein Unternehmen mit mehr als 6.000 Mitarbeitenden gedacht werden würde, das mit einer Stimme spricht, dann hätten wir allein schon deshalb eine Riesenkraft.
 
Das ist ein langer Prozess. Und ich denke, wir stehen ganz am Anfang. Es ist, denke ich, kein Zufall, dass Frau Schliessleder und ich hier sitzen. Auch wenn es selbstverständlich Verwaltungsfachkräfte gibt, die sich ebenso grundlegende Änderungen wünschen und engagiert daran arbeiten. So gäbe es CTC in Augsburg nicht, wenn nicht die Leitung des Büros für Kommunale Prävention Diana Schubert die Strategie in unsere Stadt gebracht hätte. Doch unterliegen Verwaltungen in der Regel noch immer ihrer eigenen, nicht unbedingt innovationsfreundlichen Logik. Vorhaben wie CTC sind eine Frage des Willens und der Fähigkeit zu kulturellem Wandel innerhalb der Verwaltung und des Selbstverständnisses von kommunalem Handeln.
 
Ein schönes Schlusswort, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview ist in unserem Themendossier "Armutsprävention im Spiegel kommunaler Bildungslandschaften" veröffentlicht worden.
 
 
Zudem bieten wir eine Onlineversion des Themendossiers. Das PDF können Sie hier herunterladen.