Zurück zur Flurschule oder auf in neue (digitale) Lernwelten?

Ein Interview mit Stefan Rauhaus von der Landeshauptstadt Hannover
leere Stühle aus der Vogelperspektive

Im Interview berichtet Stefan Rauhaus, Leiter des Fachbereichs Schule der Landeshauptstadt Hannover, über die Herausforderungen, denen die Stadt Hannover wie so viele Kommune derzeit in puncto Raumnutzung an Schulen begegnet.

Herr Rauhaus, die Corona-Krise wird auch als „Krise des Raums“ bezeichnet. Inwiefern trifft das zu, wenn Sie an die Raumnutzung und -qualität an Schulen denken? Vor welchen Herausforderungen stehen Sie als Mitarbeiter der Landeshauptstadt Hannover? 

Als Schulträger sind wir im Wesentlichen dafür zuständig, die Schulen auszustatten, das Personal zu besetzen und die entsprechenden Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Durch die Entscheidung des Landes Niedersachsen, geteilten Unterricht zu machen, also nur noch halbe Gruppen zu unterrichten, war es am Anfang noch relativ entspannt. Denn eine Hälfte der Schüler blieb zuhause, so dass viel Raum zur Verfügung stand für diejenigen, die zur Schule gingen. Aber wir stellen fest: Mit zunehmender Schülerzahl, die planmäßig in den kommenden Wochen in die Schulen zurückkommen, wird es voller. Und wir stehen vor einem Dilemma: Das Bedürfnis nach Notbetreuung steigt dramatisch. Gleichzeitig müssen die Schutzmaßnahmen eingehalten werden. Da stoßen Schulen an ihre Kapazitätsgrenzen. 
 
Die Räume sind von ihrer Größe her nicht für solche Pandemien ausgelegt. Bei den Prüfungsphasen beispielsweise – da waren die Schulen sehr kreativ – die Lehrkräfte sind unter anderem auf Turnhallen und Aulas ausgewichen. Die Hausmeister hatten viele Möbel zu schleppen, unterstützt durch das Lehrpersonal. 
 
Auch die Umsetzung des niedersächsischen Hygienerahmenplans war eine ziemliche Herausforderung. Die Vorräume der Toiletten sind so klein, dass maximal ein bis zwei Waschbecken benutzt werden können. Und alle sollen sich regelmäßig dort die Hände waschen. Deshalb haben wir mobile Waschtische angeschafft. Auf die Idee sind auch viele andere gekommen.  
 
Aber die Frage, die uns am meisten umtreibt, lautet: Wie funktioniert das, wenn ab Juni wieder alle Klassen in der Schule sind – auch wenn es bei halben Klassen bleibt? Schon das ist schwer vorstellbar. Die Sporthallen und Sportflächen werden mit der Öffnung natürlich auch wieder von den Sportvereinen genutzt. Feste Mieter in unseren Schulräumen sind zudem die Volkshochschule und die ortsansässige Musikschule. Auch die geraten in Konkurrenz zu dem normalen Schulbetrieb.  
 
Bei all dem ist das wichtigste immer, dass die Infektionsgefahr so gering wie möglich ist. Das heißt für uns: Die Begegnungen der unterschiedlichen Gruppen muss verringert werden. Doch wir stoßen häufig auf Widerstand, wenn wir sagen: „Nein, das geht alles nicht so schnell und vor allem nicht so umfangreich, wie sich das manche vorstellen.“ Kurzum: Die Schulen stehen ziemlich unter Druck und wir inklusive. 
 
 

Wie begegnen Sie diesen Herausforderungen? Welchen kreativen Lösungen sind sie bereits begegnet? 

Wir sind relativ eng begrenzt durch die Vorschriften des Landes. Es sollen immer die gleichen Kinder die gleichen Räume nutzen und wir können nicht auf Räumlichkeiten von Dritten ausweichen. Wir haben zum Beispiel das Schulbiologiezentrum, da wäre durchaus etwas möglich. Aber außerschulische Lernangebote finden in Niedersachsen zurzeit nicht statt. Manche Schulen – und die unterstützen wir dann bei der Beschaffung – nutzen bei gutem Wetter den Schulhof, eröffnen das Klassenzimmer im Grünen. Das Problem ist: Wir können schlecht mehr Raum zaubern.  
 
Und das Platzproblem zieht andere nach sich: Lehrerinnen, Hausmeister, Schulsekretäre, pädagogische Mitarbeiter, die zur Risikogruppe gehören, sollen unter diesen Umständen nicht in der Schule arbeiten. Das wird ein personelles Problem.  
 
Natürlich machen wir uns auch Sorgen um die Kinder, die zuhause keine angemessene Umgebung zum Lernen vorfinden. Wir fragen uns, wie man sozial oder wirtschaftlich benachteiligte Familien in dieser Situation gut unterstützen kann. Es gibt zwar im Rahmen des DigitalPakts jede Menge Möglichkeiten, wie zum Beispiel vereinfachte Vergabebedingungen, um elektronische Geräte zu beschaffen. Aber das wollen nicht alle. Viele machen es nach wie vor analog – auch sehr kreativ. Und bei 50.000 Schülerinnen und Schülern in einer Stadt reicht das Geld dann an der Stelle auch gar nicht aus. Was wir gemacht haben, ist, dass wir den Schulen erlauben, schuleigene Geräte an die Kinder und Jugendlichen zu verleihen. Hier werden wir die Zahl deutlich erhöhen. Aber die flächendeckende Ausstattung mit mobilen Endgeräten, davon sind wir noch weit entfernt.  
 
 

Und wenn Sie nach vorn gucken: Was bedeutet diese Krise für den Schulbau, für das Unterrichten in der Zukunft?  

Ich hoffe, dass es keine Rückschritte gibt zur alten Flurschule. In Hannover fangen wir gerade an, so genannte Clusterbildung und Lernlandschaften in unsere Neubauten zu integrieren. Da müssten pädagogisch neue Konzepte geschaffen werden, wie man auch unter Pandemievorzeichen solche Räumlichkeiten nutzen kann. Lernlandschaften sind offen, sind Räume der Begegnung und das was gerade am meisten eingeschränkt wird, sind Begegnungen.  
 
Aber: Selbst, wenn wir diese Erkenntnisse gewinnen, was wir noch anders und besser machen können, wie können wir das umsetzen? Ein großer Teil der Schulen, die wir in Hannover haben, ist ein sanierungsbedürftiger Altbestand. Abgesehen davon, steigen bei uns die Schülerzahlen dramatisch. Wir müssen um jeden einzelnen Raum kämpfen und eigentlich erstmal Masse schaffen. Gleichzeitig soll die Qualität verbessert werden. Das sind Dinge, die in der jetzigen Zeit noch deutlicher geworden sind. 
 

 

Gibt es auch positive Effekte der Krise? 

Was ich positiv finde ist, dass tatsächlich andere Lernformen möglich werden und dass gerade, wenn es um das Thema Digitalisierung und Umgang mit bestimmten Regeln geht, manche Dinge auch schneller funktionieren. Verwaltung, aber auch Schule sind momentan flexibler und das schweißt zusammen, denn es muss jetzt einfach gehen.  
 
Durch die aktuelle Situation hat sich auch die Kooperation auf der Steuerungsebene intensiviert und man kann durchaus sagen, dass wir als Schulverwaltung mit der Bauverwaltung näher zusammengerückt sind. Ich denke, dass dies auch etwas ist, wovon wir nach der Pandemie noch profitieren. Wenn wir von alldem etwas rüberretten können, wäre ich sehr froh. Das würde uns, glaube ich, allen sehr guttun. 
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