Die Krise des Raums...

...zugleich eine Chance für die Zukunftsfähigkeit der Städte
Bobbycar und abgesperrter Spielplatz

Die Krise...

Als „Krise des Raums“ bezeichnet die Soziologin Martina Löw im Podcast „Soziologische Perspektiven auf die Corona-Krise“ die derzeitige Situation. Auf die räumlich entgrenzte Krise werde mit „Raummaßnahmen“ reagiert, die die Pandemie eingrenzen sollen: Schließung von (öffentlichen) Räumen und Grenzen, Mindestabstand, Versammlungsverbot, Isolationsgebot.

Der Ökonom Richard Florida konkretisiert diese These und spricht vom „Density Divide“: Besonders betroffen seien demnach Menschen, denen vergleichsweise wenig Wohnraum zur Verfügung steht. Sie litten besonders unter der teilweisen Schließung von Bildungseinrichtungen, Homeoffice und Kontaktbeschränkungen. Ein Artikel der Berliner Zeitung schildert die Situation in der Hauptstadt. Wenn nun also der Wohnraum begrenzt ist, Alltagsorte wie Schulen und Büros geschlossen sind, wird nach Ausweichräumen gesucht: Und der öffentliche Raum bekommt eine besondere Bedeutung. Hierzu empfehlen wir das Blog "Corona und der öffentliche Raum". Auch der aktuelle Kinderreport des Deutschen Kinderhilfswerks verweist auf die hohe Relevanz, die das Spielen im Freien hat. In den vergangenen Wochen wurden bereits kreative Nutzungsmöglichkeiten des öffentlichen Raums erprobt – Straßen zu verkehrsberuhigten Bereichen umfunktioniert und neue digitale Begegnungs- und Lernräume eröffnet.

Dabei steht nicht nur der öffentliche Raum im Fokus der Betrachtung. Auch die Nutzung und die Qualität von Räumen für formale und non-formale Lernangebote ist mit der schrittweisen Öffnung von Schulen, Jugendfreizeiteinrichtungen, Volkshochschulen und Kindertagesstätten ein zentrales Thema. Obwohl viele Lernangebote wieder zur Verfügung stehen, kann von Alltag keine Rede sein. Denn mit der sukzessiven Öffnung der Lern- und Begegnungsorte sind strenge Sicherheitsvorkehrungen verbunden, die die Anforderungen an die pädagogische Arbeit und mit ihnen die qualitativen Ansprüche an den Raum verändern: Abstandsregeln, Desinfektionsmittel und kleine Gruppengrößen werden zur neuen Normalität. Hygieneregeln und Sicherheitsabstände müssen eingehalten werden, Flure zu Einbahnstraßen erklärt und Tische auseinandergeschoben. Der schon vorher begrenzte Raum wird noch knapper. Wo Kommunen – allen voran die Großstädte – bereits vor der Pandemie vor der Herausforderung standen, steigende Schülerzahlen bei gleichzeitiger Raumnot in Einklang zu bringen, erhöht sich der Druck dieser Tage.

...und ihre Chancen

Was bedeutet diese Krise des Raums zukünftig für die Städte? Das Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) verweist darauf, dass es bislang im deutschen Kontext keine Belege für signifikante Unterschiede in der Betroffenheit von Stadt und Land gäbe, was aber nicht bedeutet, dass die Siedlungsdichte für die Ausbreitung der Pandemie irrelevant ist. Jedoch scheinen Faktoren wie die Alterszusammensetzung, die gesundheitliche Verfassung der Bevölkerung und die ökonomische Integration des Ortes in globale Prozesse ebenso wichtig zu sein wie die regionale Verortung. Die Forscherinnen und Forscher des ILS gehen davon aus, dass die Urbanisierung langfristig nicht gebremst werde. Perspektivisch sei aber davon auszugehen, dass „es in vielen Bereichen zu einer Renaissance öffentlicher bzw. gemeinwohlorientierter Güter und damit der öffentlichen Grundversorgung kommen kann (…) in Gestalt einer auch bürgerschaftlich getragenen und kontrollierten Rekommunalisierung der Daseinsvorsorge. Dies kann auch zu einer Wiederbelebung der kommunalen Demokratie beitragen.“

Wie müssen Städte zukunftsfähig und krisensicher geplant werden? Stadtplanung und Architektur müssten auf die Corona-Krise reagieren und Konzepte entwickeln – aber „eine virenfeste Stadt gibt es nicht“, so Doris Kleilein, Architektin und Autorin, im Interview mit dem Deutschlandfunk. „Pandemietauglich“ könnten Städte aber dann werden, wenn sie nachhaltig geplant sind, so Kleilein in einem Beitrag von „titel thesen temperamente“ der ARD. Als besonders resilient hätten sich städtische Nachbarschaften im Umgang mit der Corona-Krise erwiesen – hier wurde ein hohes Maß an Solidarität und Nachbarschaftshilfe deutlich. Dieses Pozential des Engagements in der Nachbarschaft gelte es auch zukünftig zu stärken, so Stefan Siedentop, Raumplaner und wissenschaftlicher Direktor des ILS und der Soziologe Ralf Zimmer-Hegmann. Digitale Tools, wie eine Nachbarschafts-App, könnten diese fördern.

Die Krise des Raums ist somit Herausforderung und Chance zugleich. Der Druck, den öffentlichen Raum an die Bedürfnisse der diversen Gruppen an Nutzerinnen und Nutzern anzupassen und nicht nur für ausreichend Raum zu sorgen, sondern auch die Qualität des Raums – z. B. in Bildungseinrichtungen – zu sichern, wächst. Dadurch eröffnen sich neue Handlungsspielräume und kreative Nutzungsmöglichkeiten, die es nach der Krise nachzuhalten gilt. Der Gestaltung von (Bildungs)Räumen durch ein abgestimmtes datenbasiertes kommunales Bildungsmanagement kommt dabei eine entscheidende Rolle zu.