„Es ist eine Art Wiedereinschulung, um sich wieder auf neue Alltagssituationen einzustellen“

Rheinturm und Rheinkniebrücke in Düsseldorf
Ina Holschbach und Milena Pape berichten, wie in Düsseldorf das Berliner Programm LernBrücken angepasst wurde
30.06.2021

Düsseldorf: Ina Holschbach, Jugendhilfeplanerin Präventionsketten beim Jugendamt, und Milena Pape, Bildungsmanagerin Projekt "Bildung integriert" beim Amt für Schule und Bildung, erzählen, wie sie auf das Programm LernBrücken gestoßen sind und nun in Düsseldorf umsetzen, um Schülerinnen und Schüler in Risikolagen nicht nur im Rechnen und Vokabel lernen zu unterstützen, sondern vor allem, um den Kontakt aufrechtzuerhalten und Sorgen und Ängste zu nehmen.

Wann und wie sind Sie auf die LernBrücken aufmerksam geworden? 

 
Ina Holschbach: Das kann man grob auf Mitte 2020 datieren. Wir hatten den DKJS-Newsletter bekommen. Meine Kollegin Frau Pape arbeitet im Amt für Schule und Bildung, ehemals Schulverwaltungsamt, und ich im Jugendamt, in der Jugendhilfeplanung. Wir tauschen uns regelmäßig über diverse Newsletter aus, so auch darüber. Da sind die LernBrücken recht schnell aufgetaucht. Und das hat uns direkt beim ersten Lesen gepackt. 
 

Was gab konkret den Ausschlag, das Berliner Modell in Düsseldorf zu adaptieren?

 
Milena Pape: Wir standen kurz vor dem 2. Lockdown und haben dann beim Amt für Schule und Bildung, im Projekt „Bildung integriert“ den Wunsch gehabt, für die Schülerinnen und Schüler mehr zu tun: nicht nur inhaltlich Angebote zu machen, sondern auch solche, die das Soziale betreffen, Ängste auffangen und die digitale Situation berücksichtigen. Nicht alle Schüler:innen waren Zuhause mit Tablets oder PCs ausgestattet und nicht alle Eltern konnten im Home Schooling digital und inhaltlich unterstützen. Da ist eine Bildungslücke entstanden, wo „Bildung integriert“ unterstützen wollte. 

Im Grunde haben wir ein Projekt gesucht, das niedrigschwellig und schnell umzusetzen ist und den Schüler:innen und Schulen schnell helfen kann. Und die LernBrücken waren genau das. 

Milena Pape, Bildungsmanagerin Projekt "Bildung integriert" beim Amt für Schule und Bildung Düsseldorf

Wie ging es dann weiter?

 
Milena Pape: Wir haben unseren Abteilungs- und Amtsleitungen davon erzählt, die die Idee, das Programm zu adaptieren, super fanden. Dann haben wir mit der Projektleitung der DKJS telefoniert, die uns ausführlich und im Detail von den LernBrücken erzählt hat. Das war sehr hilfreich. Es hat nur ein paar Wochen gedauert, bis wir schon mit den Pilotschulen anfingen. 
 

Das Programm Lernbrücken gründet auf den Strukturen und Erfahrungen von zwei Berliner Programmen der DKJS. Mit den Berliner Ferienschulen und Gemeinsam starten – Fit für die Schule können seit Jahren Kinder und Jugendliche mit schwierigen sozialen Hintergründen erreicht werden. Auf welche Strukturen bauen Sie in Düsseldorf?

 
Ina Holschbach: In Düsseldorf haben uns für die kurzfristige, niedrigschwellige und passgenaue Umsetzung unterschiedliche Programme und Strukturen geholfen. Neben ganz starken Partner:innen und sehr engagierten Akteur:innen an Schule, die in der kurzen Zeit tolle Sachen auf die Beine gestellt haben, funktioniert die ämterübergreifende Vernetzung zwischen dem Jugendamt und dem Amt für Schule und Bildung sehr gut. Das ist ein jahrelang gewachsener Zusammenhalt, von dem wir heute profitieren. Außerdem konnten wir auf gute Strukturen in der Ganztags-Organisation sowie etablierte Ferienprogramme (Adventure School) und Förderkurse bauen. Übergeordnet sind die Lernbrücken in die Düsseldorfer Präventionsstrategie eingebunden und damit ein passgenaues Angebot der kommunalen Präventionskette, die ein chancengerechtes Aufwachsen und echte Teilhabe für alle jungen Menschen in Düsseldorf ermöglichen soll.  
 
Um die richtigen Pilotschulen anzusprechen, wo nachweislich der Bedarf am höchsten ist, konnten wir zum einen die Sozialräumliche Gliederung (eine feingliedrige Einteilung und Analyse von Wohngebieten in ganz Düsseldorf nach Sozialdaten, unabhängig von Stadtteilen oder Bezirken) nutzen, sowie von "Bildung integriert" entwickelte „Schülderdaten Reports“ (statistische Beschreibung zu Voraussetzungen und Entwicklung der Schülerschaft).
 

Welche Partnerinnen und Partner sind in Düsseldorf konkret mit eingebunden? 

 
Milena Pape: Das sind zum einen die Schulleitungen und Lehrkräfte. Die Schulsozialarbeiter:innen sind alle stark mit eingebunden, weil sie die Schüler:innen auswählen und eng mit den Dozent:innen inhaltlich zusammenarbeiten. Dann haben wir zum anderen an den einzelnen Schulen – sechs Schulen insgesamt – die jeweiligen Jugendhilfeträger und Fördervereine und natürlich unsere drei Ämter von „Bildung integriert“: das Amt für Schule und Bildung, das Jugendamt und das Amt für Statistik und Wahlen. 
 
Finanziert wird das Programm LernBrücken bei uns in Düsseldorf über das Amt für Schule und Bildung sowie das Jugendamt. Das Amt für Statistik und Wahlen ergänzt mit einem begleitenden Monitoring.
 

Was konnten Sie gemeinsam schon erreichen? 

 
Ina Holschbach: Zurzeit läuft die Pilotphase mit je einer Schule pro Schulform – Grundschule, Hauptschule, Realschule, Förderschule, Gesamtschule und Gymnasium. Die ersten Maßnahmen sind kurzfristig Mitte Mai 2021 gestartet. Wir haben uns in der Lenkungsgruppe „Bildung integriert“ mit den drei Ämtern ausgetauscht und die Finanzierung besprochen. Als die gesichert war – erstmal bis Ende des Jahres – , sind wir in die aktive Akquise der Schulen eingestiegen. Wir haben uns auf der Basis der Kennzahlen angeschaut, welche Schulen das sein könnten. Diesen haben wir dann die Inhaltsbereiche des Berliner Programms vorgestellt: Lernen lernen, digitales Lernen und vieles drehte sich auch um Alltagsmanagement. Das ist auf großes Interesse bei den Schulen gestoßen. Was den Rahmen angeht, haben wir viel Offenheit gelassen. Das heißt: Wir haben es erst mal nicht auf eine bestimmte Stundenanzahl pro Woche oder eine gewisse Laufzeit begrenzt. Entstanden sind so ganz unterschiedliche Formen der Unterstützung. 
 

Wie ist die bisherige Resonanz auf Ihr Unterstützungsangebot?

 
Ina Holschbach: Die Schulen schreiben uns regelmäßig und versichern, dass es die richtige Unterstützung zum genau richtigen Zeitpunkt ist. Die Schüler:innen nehmen das Angebot sehr dankend an, die Lehrkräfte auch. 

Vor allem wird die hohe Flexibilität sehr geschätzt, was die formellen Kooperationsvereinbarungen angeht. Das war, denke ich, der ausschlaggebende Punkt, dass wir den Transfer in der Zeit schaffen konnten. 

Ina Holschbach, Jugendhilfeplanerin Präventionsketten beim Jugendamt Düsseldorf

Haben die aktuellen – vorsichtig formuliert positiveren – Entwicklungen in der Pandemie Auswirkungen auf das Programm? 

 
Milena Pape: Tatsächlich wenig. Wir haben gedacht, dass die Schulen sich melden, weil kein Bedarf mehr da ist. Aber wir haben mit zwei, drei Schulen gesprochen, die sagen, dass es am Anfang einen Notbedarf gab. Die jungen Menschen hatten zum Beispiel Angst wegen der Klassenarbeiten und Tests. Das sei im ersten Aufschwung abgearbeitet worden und nun geht es um die soziale Stärkung, um Kontakte, Interaktion und Bewegung. Sprachförderung ist immer ein konstantes Thema. All dies ist völlig unabhängig von den Entwicklungen in der Pandemie. Es ist eine Art Wiedereinschulung, um sich wieder auf neue Alltagssituationen einzustellen. Das wird noch eine Weile so bleiben. 
 

Welche Planungen gibt es, das Programm auch im Jahr 2022 fortzuführen?

 
Milena Pape: Das Interesse haben wir alle. Das ist auch gewünscht und geplant. Wie die Finanzierung seitens der Ämter aussieht, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht absehbar. Wir wissen, dass es auch vom Ministerium groß angelegte Corona-Förderungen für Schüler:innen geben wird.  Aber inwieweit wir das nutzen und kombinieren können, ist noch nicht klar. 
 
Ina Holschbach: Wir zählen hier auf die Dokumentation und die Auswertung an den Schulen. Wir bekommen jetzt schon weit mehr Informationen als wir dachten. Das freut uns sehr. Die Schulen werden uns nach diesem ersten Pilotzeitraum mitteilen, was sie umgesetzt haben und was noch offen ist. Das Schöne ist, dass sie schon jetzt im laufenden Projekt die Maßnahmen anpassen. Es kommen Themen dazu wie Antiaggressionstraining, Fokus Sprachförderung oder das Aufgreifen der aktuellen Situation durch theaterpädagogische Angebote. Die Schulen sind eigeninitiativ sehr gut unterwegs. Ich kann mir vorstellen, dass sie am Jahresende den Wunsch formulieren, das weiterführen zu wollen, nach dem Motto: Jetzt haben wir ein gutes Konzept. Das möchten wir weiter umsetzen. 
 
Milena Pape: Was unabhängig von Corona immer relevant sein wird, ist die Möglichkeit in so kleinen Kursen mit Sozialpädagog:innen sehr konkret auf die Einzelbedarfe und die einzelnen Lernsituationen der Schüler:innen eingehen zu können. Das ist etwas Besonderes an dem Projekt und kann in einer großen Klassenstruktur nicht geleistet werden. Wir bekommen schon jetzt gespiegelt, dass das für die Kinder und Jugendlichen, Dozent:innen und Lehrkräfte toll ist. Allein dafür wird der Bedarf bleiben. 

Das Programm LernBrücken – häusliches Lernen begleiten richtet sich in der besonderen Zeit der kompletten und teilweisen Schulschließungen während der Corona-Pandemie und darüber hinaus an Berliner Kinder und Jugendliche, die in Risikolagen aufwachsen und zu Hause beim Lernen nur wenig Unterstützung erhalten. Seit April 2020 erhalten Grundschulkinder und Jugendliche individuelle Beratung und Motivation zum Lernen. Um sie optimal zu unterstützen und zu stärken, kooperieren Träger der freien Jugendhilfe mit Schulen aller Art sowie ihren Lehrkräften. Den Steckbrief zum Programm mit weiterführenden Informationen können Sie hier als PDF abrufen.