Kommunale Koordinierung am Übergang von der Schule in den Beruf

Brücke zum Haus und Spielplatz
In Düsseldorf arbeiten Verwaltung, Politik, Praxis und Wirtschaft an einem Strang für gute Bildungschancen
01.12.2020

Die Kommunale Koordinierung des Übergangs Schule-Beruf in der Stadt Düsseldorf wird gemeinsam vom Schulverwaltungsamt der Landeshauptstadt und der Stiftung PRO AUSBILDUNG verantwortet. Im Interview schildert Leiter Gregor Nachtwey, wofür die Kommunale Koordinierung konkret zuständig ist und inwiefern sich darin die Zusammenarbeit zwischen Schule, Hochschule und Wirtschaft innerhalb Düsseldorfs manifestiert.

Herr Nachtwey, wie kann man sich die Kooperation zwischen Stadt und Stiftung konkret vorstellen?  
 
In NRW wurden überall kommunale Koordinierungen eingerichtet, deren Ziel es ist, den Prozess der Landesinitiative „Kein Abschluss ohne Anschluss“ nicht nur zu begleiten, sondern Schulen zu coachen und Unternehmen als Servicestelle zur Verfügung zu stehen. Das Land beteiligt sich zur Hälfte an der Finanzierung von maximal sechs Stellen, die in Düsseldorf über die Stadtverwaltung hinaus besetzt sind: Neben vier Mitarbeitenden des Schulverwaltungsamts arbeiten wir – im Sinne der Kooperation – mit zwei Vertretenden der Stiftung PRO AUSBILDUNG zusammen. Letztere ist somit Teil der Kommunalen Koordinierung, aber mit einem anderen Arbeitgeber. Das Gute daran: Wer kann besser die Türen in die Wirtschaft öffnen als eine Stiftung, die Teil der Unternehmerschaft Düsseldorf ist? Das ist ein wirklicher Gelingensfaktor, weil es für einen Beamten einer Behörde mitunter mühselig ist, an die Türen der großen Unternehmen zu klopfen. Da ist das obere Management eines Arbeitnehmerverbandes oft schneller und direkter im Kontakt und in der Ansprache der Unternehmen, mit denen man immer wieder am gemeinsamen Tisch sitzt. Umgekehrt stellen wir als Schulträger den Kontakt zu den Schulen und weiteren in Schule Mitwirkenden her. Diese Kooperation hat bei uns schon Tradition, die gibt es schon seit 2006 und ist durch einen Kooperationsvertrag besiegelt. Mit dabei sind auch die Kammern (IHK, HWK und Kreishandwerkerschaft) sowie die Arbeitsagentur.
 
 
Wie ist es zu der engen Kooperation überhaupt gekommen?
 
Vor 50 Jahren gab es nahezu keine Berufsberatung an der Schule. Diejenigen, die sich aber frühzeitig damit auseinander gesetzt haben, waren die Experten aus der Wirtschaft, die gesagt haben: Wir müssen gucken, dass wir die Schülerströme zu einem frühen Zeitpunkt in die richtige Richtung lenken, also dahin, wo es einen echten Bedarf gibt. Deshalb hat der Arbeitskreis Schule-Wirtschaft in Düsseldorf eine ausgeprägte Tradition: Bis 2005 hat sich das Schulverwaltungsamt nur sehr selten um solche Angelegenheiten gekümmert. Das war – wenn überhaupt – der Schulaufsicht vorbehalten. Heute verstehen wir Berufsorientierung ganzheitlich und sprechen auf Augenhöhe mit den Schulen und allen übrigen Akteuren. Das macht es möglich, dass wir als Kommunale Koordinierung Schulen gegenüber Empfehlungen aussprechen können, wie eine regionale Berufliche Orientierung gut gelingen kann. Und die Verantwortlichen der Schulen nehmen das sehr dankbar auf. Denn die müssen in erster Linie unterrichten und nicht unentwegt Kontakte schmieden und Kooperationen koordinieren. Kurz gesagt: Die Wirtschaft war Urheberin dieser Zusammenarbeit, weil sie das Geld, das Know-how, die Motivation und die Leute hatten. Dann sind wir dazu gekommen als Türöffner. 
 
Dass das hier super funktioniert, liegt vielleicht daran, dass diese Kooperation mittlerweile als selbstverständlich wahrgenommen wird und sich die Akteure hier in Düsseldorf gut verstehen. Wir treffen uns dabei in verschiedenen Kontexten immer wieder: in Kommissionen oder im so genannten regionalen Ausbildungskonsens, wo die Arbeitsagentur die konkreten Zahlen zum regionalen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt vorstellt (z.B. wie viele Ausbildungsplätze fehlen) und in vielen weiteren BO-bezogenen Runden. Das schafft Vertrauen.
 
 
Welche Befugnisse hat der Arbeitskreis?
 
Wenn wir neue Programme aufsetzen, werden in einem Unterarbeitskreis Konzepte erarbeitet, die dem Lenkungskreis und dem Steuerungskreis noch einmal vorgelegt werden. Das heißt: Was wir für die Düsseldorfer Schülerinnen und Schüler machen, ist ein Konsens von Dezernenten, Geschäftsführungen und Arbeitsagentur. Das ist für uns eine gute Auftragsgrundlage. 
 
 
Können Sie uns ein Kooperationsvorhaben schildern?
 
Ein Beispiel für die Zusammenarbeit von Politik, Verwaltung und Wirtschaft ist DOP: Das Duale Orientierungspraktikum richtet sich an Schülerinnen und Schüler an Gymnasien, Gesamtschulen und Berufskollegs. Die Schülerinnen und Schüler schnuppern eine Woche lang Hochschulluft. In der zweiten Woche machen sie ein Praktikum in einem Bereich, den sie an der Hochschule kennengelernt haben. Das DOP ist ein Baustein des Bereichs Berufliche Orientierung, den wir gemeinsam mit den Kooperationspartnern festlegen. Hier ist es sehr hilfreich, dass wir immer alle Partnerinnen und Partner im Vorfeld im Boot haben. Denn auch die Hochschulen sind Teilpartnerinnen in unserem Kompetenzzentrum Berufliche Orientierung. 
 
Ein weiteres Beispiel ist unser Bildungswegenavigator, kurz BIWENAV, den wir im Rahmen des so genannten Innovationssemesters (weiter-)entwickelt haben. Das Innovationssemester ist eine Initiative aus dem Wissenschaftsministerium Nordrhein-Westfalen im Rahmen der sogenannten Bildungsregion Düsseldorf. Im Innovationssemester können junge Menschen aus Uni, Beruf oder Ausbildung an Kursen in denjenigen Institutionen und Unternehmen teilnehmen, die sich jeweils mit einem Projekt zum jeweiligen Innovationssemester beworben und auch den Zuschlag erhalten haben. Die Studierenden erhalten für ihre Mitwirkung Credit Points , die Ihrem Studium angerechnet werden können. Das Tolle am Innovationssemester ist: Es kommen hier Spezialistinnen und Spezialisten aus verschiedenen Studiengängen und Ausbildungen sowie Nicht-Spezialisten zusammen, um gemeinsam an einem interessanten Projekt zu arbeiten. Das erweitert den Blickwinkel bei der Planung eines Projektes enorm. Wir können darüber effektiver die Zielgruppen unserer Projekte in den Blick nehmen.
 
Im Jahr 2019/2020 haben wir uns als Kommunale Koordinierung zum ersten Mal beteiligt mit dem Ziel, den bereits Jahre zuvor entwickelten Bildungswegenavigator stärker an den Bedürfnissen der Zielgruppe anzupassen. Denn der bisherige Navigator war als eine Datenbank zur Orientierung am Übergang Schule-Beruf vornehmlich aus der Perspektive der Schulen und der Stadtverwaltung entstanden. Das sollte sich ändern. Die Wege in die Ausbildung sollten eine viel größere Rolle spielen. Außerdem war das Layout und die Bedienung „alles andere als sexy“, wie es einmal ein pädagogischer Mitarbeiter im Übergang treffend formuliert hat. Wir wollten zudem die Zielgruppe deutlich erweitern: Von den Schülerinnen und Schülern über die Eltern bis hin zu den Berufsberatungen und Lehrkräften sollten sich alle angesprochen fühlen.
 
Mindestens einmal die Woche sind zwischen zehn und zwanzig Leute am runden Tisch zusammengekommen unter der Fragestellung: Wie können wir den Navigator für die Zielgruppe verbessern? Was braucht diese? Wie können wir unsere Ideen in ein Produkt verwandeln und wie kann ein Kommunikationskonzept und eine Vermarktungsstrategie dazu aussehen? Am Ende haben wir mit dem BIWENAV im Rahmen des Innovationssemesters auf ganzer Linie überzeugt und wurden zum großen Abschlusswettbewerb sogar Projektsieger. Und logisch: Das Ergebnis war natürlich um Klassen besser, als wenn ich als Verwaltungsmensch mir etwas allein überlegt hätte. 
 
 
Und wie erreichen Sie Ihre Zielgruppen?
 
Auftrag der Kommunalen Koordinierung ist es, den Dschungel im Übergang Schule-Beruf zu lichten und überall kleine Schilder an die Ecken und Verzweigungen anzubringen, damit man die Orientierung nicht verliert. Das funktioniert über den BIWENAV sehr gut. Der Bildungswegenavigator ist aber auch unsere Eintrittskarte, um unsere Zielgruppe zu erreichen. Im Vergleich zum Vorgängertool sind wir hier auch sehr erfolgreich, weil der BIWENAV jetzt mit Leben gefüllt ist. Man findet dort Informationen zu etwa 80 unterschiedlichen Bildungsgängen und rund 750 direkte Verlinkungen – neben denen zu den Bildungsgängen in den jeweiligen Berufskollegs auch diejenigen zur Studienberatung der jeweiligen Hochschulen oder zur Ausbildungsberatung von IHK und HWK, um nur einige zu nennen. Um den Nutzungsgrad des BIWENAV zu erhöhen, bauen wir z.B. die Materialien des DOP in einem geschützten Bereich der Plattform ein. Die Schülerinnen und Schüler, die das DOP machen, erledigen u.a. Aufgaben, für die sie im Navigator recherchieren müssen. 
 
Und nun geht es darum, das Tool zu bewerben. Wir haben zum Beispiel einen kurzen Film gedreht, der das Funktionsprinzip erklärt. Außerdem haben wir tolle Postkarten, die überall ausgelegt werden, wo man unsere Zielgruppen trifft. Und natürlich sind wir auf Instagram. Facebook nehmen wir uns auch noch vor. Dafür ist federführend eine Marketingexpertin bei der Stiftung PRO AUSBILDUNG zuständig. Außerdem stellen wir den Navigator in allen möglichen Gremien, wie z.B. dem Schulausschuss, dem Jugendhilfeausschuss, dem BildungsRing oder dem städtischen Jugendrat vor, um von denen wiederum Tipps zu bekommen, was wir noch ändern können. Denn wir können das Tool selbst weiterentwickeln, was uns bei der Ausschreibung sehr wichtig war. 
 
 
Das hört sich ressourcenintensiv an. Wie wurde der Bildungswegenavigator finanziert?
 
Der BIWENAV wurde aus Projektmitteln der Landesinitiative „Kein Abschluss ohne Anschluss“ finanziert. Aber – so verstehe ich den Ansatz der Transferinitiative auch – es gilt: Hilfe zur Selbsthilfe. So treffen wir uns beispielsweise in Kürze mit zwei benachbarten Kommunen – Wuppertal und Oberhausen –, die großes Interesse am Navigator haben. Wir haben Erfahrungen gemacht, die wir weitergeben können. Das ist für mein Team und mich Selbstverständlichkeit und Ehrensache zugleich. Wir erleben zurzeit, dass ein Großteil Nordrhein-Westfalens an einem Strang zieht und Wissen zur Verfügung stellt über Projekte, die gut funktionieren. Das spart enorm an Entwicklungsarbeit und damit an Ressourcen. 
 
Warum sind Sie dieses Mal einen neuen Weg in Bezug auf die Entwicklung des BIWENAV gegangen?
 
Wir brauchen gute Ideen, Durchhaltevermögen und Spezialisten, die Chancen von Ideen begreifen. Und wir müssen denjenigen Vertrauen entgegenbringen, die diese Ideen weiterentwickeln und von Haus aus über die Expertise verfügen. Dazu müssen wir uns als Kommune öffnen, drauf einlassen, visionsstark sein und Mut haben. Ich sehe unsere Aufgabe als Kommunale Koordinierung darin, die vielen Ideen zu bündeln und in alle Richtungen zu transportieren. Natürlich bringe ich auch gerne meine eigenen Ideen und die meines ganzen Teams mit ein.
 
 
Wie ist die Lage aktuell, während der Corona-Pandemie?
 
Um ehrlich zu sein: Die Lage ist sehr durchwachsen. Wir wissen einfach nicht, was uns die nächsten Monate bringen. Wir arbeiten zwar unentwegt an digitalen Alternativen und Ersatzlösungen für Elemente der Beruflichen Orientierung, die aktuell nicht stattfinden können oder dürfen, aber eines ist uns dabei immer bewusst: Berufliche Orientierung ist Orientierung zum Anfassen und Erfahren! Das können digitale Lösungen nicht ersetzen. 
 
Nehmen wir das Beispiel DOP, das jetzt als DigiDOP vergangene Woche gestartet ist. Der praktische Teil musste verschoben werden, da wir uns gerade im Lockdown befinden. Es wurde aber ein digitales Konzept erstellt. Das heißt, wir klinken uns in digitale Veranstaltungen ein, die an der Hochschule und in Unternehmen sowieso laufen und entwickeln dazu ein Konzept, bei dem u.a. auch digitale Übungen erledigt werden müssen. Für uns als Kommune bedeutet das, uns mit allen möglichen Formaten vertraut zu machen. Aber die Hürden sind erheblich. Denn uns und den Partnern und erst recht den Jugendlichen fehlt die alles umspannende IT-Unterstützung, nach der wir zum Beispiel ein einheitliches Internet-Live-Medium einsetzen könnten. Es nützt nicht, dass wir ein Tool aussuchen, mit dem wir zwar innerhalb unseres Teams kommunizieren können, was aber z.B. nicht in den Hochschulen genutzt werden kann. Hier ist aus meiner Sicht noch viel zu tun, um alle auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Und dann ist immer noch die Frage zu klären, wie auch wirklich alle Jugendlichen mit genügend Bandbreite ins Netz kommen. Mit einem Prepaid-Handy-Vertrag kommt man da nicht weit.
 
Zudem arbeiten viele unserer Partner aus der Wirtschaft hart an den Auflagen, die Corona mit sich bringt. Damit fehlt ihnen nicht selten Zeit und Kraft, sich selbst mit eigenen Ideen einzubringen. Und zu guter Letzt die Schulen: Von ihnen wird aus meiner Sicht fast Übermenschliches verlangt. Sie sollen nicht nur unterrichten, sondern sich nebenbei in einer dicken Krisensituation coronagerecht neu erfinden. Das schlaucht enorm! Wir versuchen, die Schulen mit Ideen und neuen Konzepten zu unterstützen oder sie in dem zu stärken, was sie gerade selbst hervorgebracht haben.  
 
Aber es gibt auch Positives: Wir sind froh, dass allen die guten Ideen nicht ausgehen. Aus meiner Sicht birgt dies große Chancen für die Zukunft. Das, was sich in Corona-Zeiten positiv entwickelt und bewährt, können wir in der Zeit danach gewinnbringend weiterführen. 
 
Vielen Dank für das Gespräch!