
Wir haben Petra Schmittner, Mitarbeiterin im Frauenbüro der Hansestadt Lübeck, gefragt, wie es um die Gleichstellung in Lübeck bestellt ist und welche Auswirkungen sie durch die Pandemie beobachtet hat.
Frau Schmittner, in der Öffentlichkeit wurde und wird momentan verstärkt debattiert, wie sich die Corona-Pandemie auf die Gleichstellung von Männern und Frauen auswirkt: sei es der Anstieg häuslicher Gewalt, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die ungleich verteilte Belastung durch Sorgearbeit. Was beobachten Sie in Lübeck, wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf die Gleichstellung in Ihrer Stadt aus?
In Lübeck – wie bundesweit auch – hat die Pandemie die Ungleichheiten von Frauen und Männern stärker zum Vorschein gebracht und sie z.T. verstärkt. So waren und sind vor allem die Mütter betroffen, die entweder gar nicht oder weniger arbeiten konnten, die Elternzeit verlängern mussten oder mit Kindern „nebenbei“ von zu Hause aus arbeiteten, weil ihre Kinder ein bis drei Monate nicht oder sehr eingeschränkt in Kitas, Kindertagespflege oder Schulen betreut wurden. Besonders hart getroffen haben die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus die alleinerziehenden Mütter.
Auf der anderen Seite wurde durch die Corona-Krise deutlich, dass vor allem Frauen in sogenannten systemrelevanten Berufen tätig sind – ob als Krankenschwester, im Einzelhandel oder auch als Reinigungskräfte – und dass diese Berufe viel zu schlecht bezahlt werden. Viele Frauen, die im Tourismus oder im Gastgewerbe arbeiteten, gingen zudem in Kurzarbeit.
Darüber hinaus hat sich die Krise auf viele andere Gruppen von Frauen ausgewirkt, z.B. von Gewalt betroffene oder obdachlose Frauen und Prostituierte. Letztere können bis heute nicht ihrer Arbeit nachgehen.
Gibt es Maßnahmen oder Strategien, mit denen Sie auf diese Erkenntnisse reagieren? Falls ja, welche sind das?
Die Frauenhäuser in Lübeck haben sich schnell umorganisiert und, auch in Absprache mit der Stadt, zusätzliche Räume gefunden für Frauen und Kinder, die von Gewalt betroffen sind, um die Abstände einhalten zu können und im Falle einer Infektion Ausweichmöglichkeiten zu haben. In vielen Familien kam es zwar in Zeiten zunehmender Unsicherheit, von Ängsten um den eigenen Arbeitsplatz und die Gesundheit, Isolation oder Homeoffice mit Kindern zu Konflikten. Die Anfragen bei den Frauenfachberatungsstellen und -häusern in Lübeck stiegen jedoch zunächst nicht an – im Gegensatz dazu wurde das bundesweite Hilfetelefon vermehrt in Anspruch genommen. Viele Frauen sind zu Beginn der Pandemie zunächst – noch – nicht in Frauenhäuser gegangen. Generell ist es so, dass es bei Aufkommen von Konflikten in der Familie eine Weile dauert, bis Frauen den Schritt wagen sich zu trennen und aus einer Gewaltsituation raus zu gehen. Daher würde es uns nicht wundern, wenn die Zahlen später steigen.
Das Thema Kinderbetreuung hat vor allem die Elternvertretungen, in denen viele Mütter aktiv sind, bewegt. Die Kommunen sind zwar für die Kinderbetreuung in Kitas, Tagespflege und auch für den Ganztag in betreuten Grundschulen zuständig. Allerdings gab es Vorgaben des Landes, welche Gruppen systemrelevant sind und welche Kinder bevorzugt in Notgruppen betreut werden sollten. In Schleswig-Holstein waren das relativ früh auch die berufstätigen Alleinerziehenden, was zumindest dieser Gruppe etwas Entlastung gebracht hat. Positiv war, dass Eltern in den Monaten des Notbetriebs zumindest die Gebühren erlassen wurden, obwohl die Stadt weiter Gelder an die Kita-Träger bezahlt hat.
Die Kindertageseinrichtungen haben, unter Berücksichtigung der Vorgaben des Gesundheitsschutzes, ihre Kapazitäten im „Lockdown“ der Corona-Zeit voll ausgeschöpft. Auf Anregung des Jugendhilfeausschuss wird mit den Kita-Trägern aber geprüft, wie die Betreuung im Fall einer „zweiten Welle“ noch umfänglicher gestaltet werden könnte.
Im Hinblick auf die Bezahlung typischer Frauenberufe hat sich noch nicht so viel getan. Lediglich die Debatte über die Bezahlung der überwiegend weiblichen städtischen Reinigungskräfte, die seit einigen Jahren statt nach Entgeltgruppe 2 nur noch nach Entgeltgruppe 1 entlohnt werden, ist durch Corona kurzzeitig wiederbelebt worden. Bisher aber noch ohne weitere Konsequenzen.
Das Lübecker Frauenbüro stellt im „Gender Monitoring“ die Entwicklung in vier Themenbereichen dar, die für Gleichberechtigung und Gleichstellung von Frauen und Männern relevant sind: darunter auch Kennzahlen aus dem Bildungsbereich. Welche weiteren Beispiele guter Praxis aus dem Bildungsbereich gibt es, die für andere interessant sein könnten?
Geschlechtersensible Ansätze im Bildungsbereich gibt es in Lübeck viele, von der Kita über die Schulen bis zu den Jugendzentren. Eine klischeefreie frühe Bildung ist wichtig, da sie die Entwicklung individueller Interessen und Stärken fördert. Die Zuordnung bestimmter Farben und Kleidung, Spielsachen, Interessen oder Bücher zu Jungen oder Mädchen, hat im Vergleich zu den 70er Jahren aus meiner Sicht in den vergangenen Jahren eher wieder zugenommen.
Die Kitas sollten Gender als Querschnittsaufgabe mitberücksichtigen, so zumindest die landesweiten Leitlinien zum Bildungsauftrag. Konkret gab es in Lübeck für alle Mitarbeitenden der städtischen Kitas Fortbildungen zum Thema. Außerdem haben die Kita-Träger in Lübeck gemeinsam beim Projekt „Mehr Männer in Kitas“ mitgemacht.
An den Lübecker Schulen gibt es z.B. das Präventionsprojekt „Aufrecht in die Welt“, bei dem Sozialkompetenz und Selbstbehauptung, zum Teil getrennt nach Mädchen und Jungen, trainiert werden. Zudem gibt es geschlechterhomogene Mädchen- und Jungengruppen sowie -angebote an einigen Schulen, in der Jugendhilfe und auch in den Jugendzentren.
In der Stadtbibliothek leihen Mädchen und Jungen bis sechs Jahre zu gleichen Anteilen Bücher aus. Zwischen dem 7. und dem 14. Lebensjahr waren es im Jahr 2019 mehr Mädchen (1.889) als Jungen (1.587). Die Kinder- und Jugendbibliothek bietet seit langem einen „Bibliotheksführerschein“ für Kitas und Schulklassen an. Damit sollen Jungen, aber auch Kinder, die sonst keinen Zugang zu Büchern oder Bibliotheken haben, spielerisch ja nach Altersgruppe über eine Zugfahrt, Schatzsuche oder ein Detektivspiel die Angebote der Bibliothek kennen lernen.
Ansätze sind also da. Eine durchgehende Strategie fehlt aber. Viele Jahre der Sparpolitik haben es auch in Lübeck erschwert, diese Themen weiter voran zu bringen. Aktuell gibt es einen Vorstoß, eine Gender-Fachstelle einzurichten. Diese soll die ganze Breite der Gender-Themen von der Kita über die Schule bis zur Jugendhilfe und Jugendarbeit in den Blick nehmen. Ob sich die Politik der Forderung des Gender-Arbeitskreises anschließen wird, entscheidet sich im Herbst 2020.