Das Geoinformationssystem (GIS): ein Quantensprung in der Kartenerstellung

Block, an dem Kugelschreiber klemmt
Ein Interview mit Lutz C. Popp, Diplom-Geograf und Mitarbeiter in der Schulentwicklungsplanung der Stadt Bielefeld
25.06.2020

Mit der Visualisierung von Daten können komplexe Sachverhalte und Wirkungszusammenhänge vereinfacht dargestellt werden. Auch im Bildungsmonitoring gewinnt die kartografische Aufbereitung von Bildungs- und Sozialdaten zusehends an Bedeutung. Lutz C. Popp von der Schulentwicklungs- und Bildungsplanung der Stadt Bielefeld, war bis 2019 für die Weiterentwicklung des Bildungsmonitorings der Stadt zuständig. Im Interview erzählt er von seinen Erfahrungen mit thematischen Karten.

Herr Popp, Sie haben Geografie studiert und eine große Expertise in der Visualisierung von Geodaten: Welche Vorteile sehen Sie darin gegenüber der Darstellung als Tabelle, Diagramm oder Text? Und für welche Kennzahlen bzw. Indikatoren im Bildungsbereich bieten sich kartografische Darstellungen an? Können Sie ein Beispiel nennen?

Bevor ich auf die Vorzüge der Kartografie eingehe, möchte ich kurz ausholen. In meinem Geografiestudium habe ich die Kartografie von der Pike auf gelernt. Das fing mit konventionellen Techniken an wie der recht mühseligen Herstellung mit Gravierutensilien, Tuschefeder, Leuchttisch. Glücklicherweise war die analoge Kartenherstellung während meines Studiums bereits ein Auslaufmodell. Die computergestützte Kartografie und auch der Umgang mit Geoinformationssystem (GIS) hatten sich bereits im Lehrplan etabliert. Insbesondere die Visualisierung raumbezogener Daten mittels GIS sorgte dafür, dass die Kartenproduktion schneller, genauer und flexibler wurde.

Die Idee eines GIS ist immer noch die gleiche. Das Handling ist aber benutzerfreundlicher als früher und die Community an Nutzerinnen und Nutzern größer. Insbesondere die kostenfreien Open-Source-Programme, wie QGIS, haben sich rasant weiterentwickelt und zum weltweiten Marktführer ArcGIS der Fa. ESRI aufgeholt. Geobasierte Softwarelösungen erfreuen sich daher auch im Bildungsbereich wachsender Beliebtheit.


Können Sie das erklären?

Raumbezogene Fragestellungen und auch thematische Karten gehören längst zum Standardportfolio von Bildungsmonitoring und Bildungsberichterstattung. Von einfachen Darstellungen, wie eine Karte der Schulstandorte einer Kommune, über Flächenkarten mit Übergangsquoten bis hin zu komplexen Distanzanalysen zwischen Wohnort und nächstgelegener KiTa – die Anwendungsfälle im Bildungsbereich sind breit gestreut.

Und die Vorteile von thematischen Karten gegenüber anderen Darstellungsformen liegen auf der Hand: Sie sind nicht nur dekorativ und haben einen hohen Wiedererkennungswert, sondern liefern durch den Raumbezug, also wo sich z.B. ein Standort, ein Stadtteil oder Quartier befindet, ein Mehr an Information. Karten zeigen auch ohne Worte Zusammenhänge auf. Darüber hinaus reduziert beispielsweise die farbliche Darstellung von gruppierten Werten (Klassen) die Komplexität: Drei Dimensionen sind ohne Weiteres darstellbar.


Haben Sie ein Beispiel?

Man kann in der Fläche die Übergangsquote von der Grundschule zum Gymnasium aufzeigen. Darüber in einem Kreisdiagramm die Verteilung nach Schulformempfehlungen legen. Und zum Schluss die Lage im Raum darstellen anhand von Grundschuleinzugsbereichen.

Wenn man von einem Nachteil gegenüber Tabellen und Diagramm sprechen kann, dann betrifft das in erster Linie die Visualisierung der zeitlichen Dimension, also eine Entwicklung zu zeigen. In Abhängigkeit von der Informationsdichte bieten sich dort Liniendiagramme oder auch nicht zu komplexe Tabellen besser an. Gleichwohl kann man sich hier mit Animationstechnologien behelfen.  Ein GIS oder interaktive Webanwendungen, wie der Instant Atlas, bieten sich dafür an, Zeitverläufe kartografisch zu skizzieren.
Für analoge Bildungsberichte ist die dynamische Animationstechnik allerdings nicht geeignet. Stattdessen kann die Kombination von einer Flächenkarte mit einem Balken- oder Liniendiagramm durchaus eine charmante Alternative zur Visualisierung von kleinräumigen Entwicklungen sein.


Das heißt, um Schwerpunkte zu setzen?

Genau. Für eine Reihe von Indikatoren und Kennzahlen bieten sich thematische Karten an. Die Frage dabei ist, wie diese dargestellt werden: als Punkt-, Linien- oder Flächenkarte? Bei flächenhaften thematischen Karten (Choroplethenkarten) ist zu beachten, dass die zu verarbeitenden Daten nur als Anteilswerte in der Fläche dargestellt werden dürfen. Außerdem muss ein Gebietsbezug (Stadtteil, Quartier, Bezirk) hergestellt werden. Bei einem Kernindikator der Bildungsberichterstattung, wie die „Übergangsquote von der Grundschule auf weiterführende Schulen“, ist genau genommen eine flächenhafte Darstellung nur dann möglich, wenn diese Übergangsdaten für den Schuleinzugsbereich bzw. -sprengel vorliegen. Liegen die Daten nur für die Grundschulstandorte vor, kommt nach kartografischem Regelwerk nur eine Darstellung über Punkte oder Linien in Betracht.

Für flächenhafte Darstellungen bieten sich Kontextindikatoren aus den Bereichen Demografie und Soziales an. Dazu zählen Kennzahlen zur Altersstruktur, Anteil der nichtdeutschen Bevölkerung oder Bevölkerungsdichte, aber auch die SGB II- und Arbeitslosenquote oder die Wahlbeteiligung. Darüber hinaus liegen häufig Daten zum Gesundheitszustand (Schuleingangsuntersuchung) oder der Betreuungssituation von Kindern mit Adressbezug vor, die in einer abgeschotteten Statistikstelle für bestimmte Gebietseinheiten datenschutzkonform aggregiert werden können.


Wofür nutzt man Linien- und Punktkarten?

Linienkarten eignen sich dafür, Wanderungsbewegungen und Schülerströme nachzuzeichnen. Mit sogenannten Spider-Karten kann z.B. das Anmelde- oder das Übergangsverhalten zu einer weiterführenden Schule visualisiert werden. In einer komplexen Schullandschaft ist das ein sinnvolles Steuerungsinstrument für Politik und andere Entscheidungsträger. Allerdings sind hier weiterführende GIS-Kenntnisse erforderlich.

Für den sanften Einstieg in die GIS- und kartenbasierte Bildungsberichterstattung bieten sich Punktkarten in Form von Standortkarten von Bildungseinrichtungen an. Aus diesem Grund würde ich Bildungsmonitorerinnen und -monitorern empfehlen, damit zu beginnen verschiedene Kartenübersichten für Standorte von Kindertagesstätten, Schulen, Weiterbildungsträgern, außerschulischen Lernorte zu erstellen. Das schafft nicht nur Transparenz in der Bildungslandschaft, sondern auch eine höhere Akzeptanz des Bildungsmonitorings gegenüber Politik und Verwaltung.


Eine gängige kostenfreie Software-Lösung ist Quantum GIS (QGIS). Können Sie von Ihren Erfahrungen mit der Software berichten und Tipps und Tricks verraten, wie man sich als Einsteiger oder Einsteigerin das Tool am besten aneignet?

Meine Erfahrungen mit QGIS sind ausschließlich positiv. Es ist einfach grandios, dass eine kostenlose Software so viel leisten kann, immer weiterentwickelt wird, sehr performant und offen für andere Formate und Systeme ist. Auch viele Stadtverwaltungen, insbesondere die Vermessungs- und Katasterämter, setzen zunehmend auf QGIS.

Zu Ihrer Frage: Es gibt eine Reihe von Tutorials im Netz zu finden. Ganz leicht, das richtige Skript oder Video zu finden, ist es allerdings nicht. Unter www.qgis.org kann man sich ein Benutzerhandbuch herunterladen.

Für das Bildungsmonitoring muss ich an dieser Stelle Werbung in eigener Sache machen. Zusammen mit Benjamin Harney, Leiter der Statistikstelle der Stadt Herne, habe ich ein QGIS-Seminar „Von Daten zu Karten“ entwickelt. Mit Unterstützung der Transferagentur Rheinland-Pfalz sind wir nun YouTuber geworden. Einige unserer Übungen sind als Videotutorials bereitgestellt.


Die Corona-Pandemie demonstriert die Bedeutsamkeit von Monitoringsystemen: Daten zur Verbreitung des Virus werden fortlaufend räumlich und zeitlich nach Ländern sortiert und tagesaktuell aufbereitet. Richtungsweisende politische Entscheidungen wurden auf Grundlage datenbasierter Beobachtungen und Erkenntnisse getroffen. Sehen Sie hier eine Chance, dass das Bildungsmonitoring an Tragweite dazugewinnt – auch innerhalb der Verwaltung?

Ich glaube schon, dass solche sehr modernen und intuitiven Monitoringsysteme sensibilisieren und Appetit auf mehr machen. Die Fa. ESRI, also die Mutter von ArcGIS, hat ein Echtzeit-Dashboard im Kontext von COVID-19 aufgebaut. Diese Technologie habe ich schon länger im Blick, schien mir bis dato aber nicht ausgereift. Für ein tägliches Monitoring sind solche Cockpit-Lösungen genial und im Krisenmanagement auch erforderlich. Das Bildungsmonitoring ist natürlich in seinem Ansatz ganz weit weg von einer tagesaktuellen Beobachtung. Dennoch sind Verwaltungen gut beraten, sich mit innovativen Geo-Business-Intelligence-Lösungen zu beschäftigen. Denn Daten und auch Fragestellungen gibt es genug.

Mehr dazu, wie man aus Daten Karten erstellt, finden Sie in einer Präsentation von Lutz C. Popp und Benjamin Harney, die im Rahmen der Fachkonferenz Bildungsmonitoring 2019 vorgestellt wurde.